Norwegische Sprachen

Hamnøy in Norwegen, Foto: Yuriy Garnaev

Das Norwegische gehört zusammen mit dem Schwedischen, Dänischen, Isländischen und dem Färöischen zu den nordgermanischen Sprachen. Die norwegische Schriftsprache hat zwei offizielle Standardvarietäten: Bokmål und Nynorsk. Es gibt mehrere samische Sprachen, aber die Sámi in und um Norwegen verwenden überwiegend die drei Dialekte Nordsamisch, Lulesamisch und Südsamisch.

Sprachen- und Ausdrucksvielfalt

Der Sprachenreichtum in Norwegen ist in der nordischen Region einzigartig und verkörpert das nationale, auch konfliktbeladene Erbe. Die beiden Schriftsprachen Bokmål und Nynorsk existieren heute im öffentlichen Raum nebeneinander. Die samischen Sprachen – sowohl diejenigen, die über eine Schriftsprache verfügen, als auch diejenigen, die nur gesprochen werden –, sind in den nördlichen Regionen Norwegens verankert und, grenzübergreifend, auch in den Nachbarländern Schweden, Finnland und Russland. Die Kultur der Sprachenvielfalt, die auch Dialekten Raum gibt, ermöglicht die fortlaufende Erneuerung des Sprachbewusstseins von Autoren und Lesern. Diese Tradition entwickelt sich derzeit im multikulturellen Norwegen weiter.

Das Literatursystem

Einige Beispiele für die unterschiedliche Schreibweise in Bokmål und Nynorsk

Die Vielfalt, Qualität und Produktivität der norwegischen Literatur und ihre Wirkung im In- und Ausland kann nur vor dem Hintergrund des Literatursystems verstanden werden. Es schafft die Grundlagen für die Produktion, den Verkauf und den Vertrieb von Literatur im Land selbst. Dieses System fußt auf staatlicher Unterstützung, einer Besonderheit in Norwegen. Die norwegische Nationalliteratur spielte eine wichtige Rolle im Staatsbildungsprozess nach Norwegens politischer Loslösung von der Union mit Dänemark im Jahr 1814. Die Gründung und Entwicklung norwegischer Verlagshäuser und Buchläden spielte dabei ebenso eine entscheidende Rolle wie das ausgeprägte Problembewusstsein, das Norwegische auf sprachlicher Ebene zu entwickeln – in Form von Nynorsk und Bokmål.

Nynorsk und Bokmål

Die Verbreitung von Nynorsk und Bokmål in Norwegen, Quelle: snl.no/nynorsk

Nynorsk wurde als eigenständige norwegische Sprache in den 1850er-Jahren entwickelt. Diese neue Schriftsprache basierte auf einer Auswahl norwegischer Dialekte und wurde zugleich im Altnordischen verankert. Für die Auswahl der Wörter und Ausdrücke aus den einzelnen Dialekten und für die Systematisierung dieses Materials in Form einer neuen Grammatik und eines separaten Wörterbuchs war ein Mann zuständig: Ivar Aasen (1813-1896). Parallel zur Entwicklung des Nynorsk wurde das Bokmål formell begründet, das seinen Ursprung im Dänischen hatte. Der Lehrer Knud Knudsen (1812-1895) trug entscheidend zur „Norwegisierung” – mit dem Ausgangspunkt im Dänischen – bei und kann als Vater des Bokmål betrachtet werden. In Norwegen sind die beiden 1885 eingeführten Schriftsprachen Nynorsk und Bokmål gleichrangige Sprachvarietäten.

Erhalt und Ausbau der norwegischen Sprache waren seither Schlüsselargumente für die öffentliche Finanzierung des Buchsektors. Literatur wird als das wichtigste Mittel zum Ausbau und für die Weiterentwicklung der Sprache angesehen. Die Idee der öffentlichen Bildung des späten 19. Jahrhunderts trug auch wesentlich zur Gründung eines landesweiten Büchereisystems in Norwegen bei. Und schließlich muss das demokratische Konzept von Gleichheit erwähnt werden – mit seinem Bestreben, Kulturgüter der gesamten Bevölkerung zugänglich zu machen. Klare politische Beschlüsse stellten den Vertrieb der Bücher sicher, die im ganzen Land zum gleichen Preis erworben werden konnten. Die Buchpreisbindung wurde zum Eckpfeiler des Literaturvertriebs und der Sprachenpolitik.

Sprache ist ein gutes Thema für anregende Diskussionen, weckt Emotionen und fasziniert. Die norwegische Rechtschreibung umfasst eine Vielzahl alternativer Formen, sowohl im Bokmål als auch im Nynorsk. Das sagt etwas darüber aus, wie individuelle sprachliche Entscheidungen und stilistische Eigenheiten als Ideal gepflegt werden. Dies kann zur Herausforderung für Übersetzer werden, bringt aber eine große Bandbreite kreativer Ausdrucksformen hervor.

Die samischen Sprachen

Die Verbreitung der Samischen Sprachen, Quelle: snl.no/samisk

Es gibt 10 verschiedene samische Sprachen in Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Sie unterscheiden sich teilweise sehr stark voneinander. Zum Beispiel: Der Unterschied zwischen dem Nordsamischen und dem Südsamischen ist in etwa vergleichbar mit dem Unterschied zwischen dem Norwegischen und dem Isländischen. Aber Sprecher aus benachbarten Sprachregionen werden einander mehr oder weniger verstehen. Solche Sprachunterschiede spiegeln auch andere, kulturelle Unterschiede wider, z. B. die Unterschiede beim Jojkender traditionellen Form der samischen Musik und einer der ältesten, ununterbrochen erhaltenen Musikformen in Europa – und bei der Kleidung, erkennbar an den traditionellen samischen Mustern. Die Sprachgrenzen verlaufen von Ost nach West in Norwegen und Schweden und halten sich nicht an Staatsgrenzen. Wegen der langjährigen Assimilationspolitik nationaler Behörden spricht weniger als die Hälfte der Sámi ihre eigene Sprache. Deshalb benötigen auch samische Leser Übersetzungen – entweder ins Norwegische oder in eine Fremdsprache.

Beispiel für Nordsamisch, Lulesamisch, Südsamisch und Norwegisch, Quelle: snl.no/lulesamisk

In Norwegen und Schweden gibt es drei samische Hauptsprachen: Nordsamisch, Lulesamisch und Südsamisch – mit den Untergruppen Pitesamisch und Umesamisch. Skoltsamisch, ein Variant des Ostsamischen, wurde früher in Norwegen gesprochen, aber heute leben die meisten Sprecher in Finnland, wo auch Nordsamisch und Inarisamisch gesprochen wird. In Russland ist teilweise noch Kildinsamisch in Gebrauch, während Tersamisch und Akkalasamisch so gut wie ausgestorben sind. Von all diesen Sprachen ist Nordsamisch unumstritten die am meisten verbreitete. Man schätzt, dass etwa drei Viertel der Samisch sprechenden Bevölkerung Nordsamisch verwendet – dieses Verhältnis zeigt sich auch in der Anzahl der wissenschaftlichen und literarischen Publikationen.

Aus politischen Gründen jedoch wird das Samische gerne als eine einzige Sprache mit mehreren Dialekten eingestuft, genau wie von einer gemeinsamen samischen Kultur und Geschichte die Rede ist. Letztendlich kommt es darauf an, worauf man den Fokus legt: auf das Verbindende oder das Unterscheidende.

Eine reiche Sprache

Rentier in Nordnorwegen, Foto: Warren Sammut

Die samische Sprache ist sehr reich, wenn es um die Natur, die Tierwelt, das Fischen und das Jagen geht. Es gibt mehrere Hundert unterschiedliche Ausdrücke für Schnee und Eis, je nach deren Beschaffenheit. Und noch mehr für Rentiere, in Abhängigkeit von ihrem Aussehen, Alter, Geschlecht und ihrer Fellfarbe. In alten Zeiten verwendeten die Sami auch viele metaphorische Bezeichnungen für Raubtiere wie Wölfe oder Bären. Diese Tiere galten als weise und konnten die Sprache der Menschen verstehen. So war es also wichtig, nicht das Wort Wolf zu verwenden (sondern eine Umschreibung). Denn sonst hätte der Wolf gewusst, dass man ihn jagt. Die samische Sprache ist auch reich an topografischen Ausdrücken und Bezeichnungen für Verwandtschaftsgrade.

Im Samischen sind Verben wichtiger als Substantive. Oft beinhalten sie auch eine ästhetische Zusatzbedeutung, sodass man allein mit einem Verb den ästhetischen Anteil einer Bewegung ausdrücken kann, wofür im Norwegischen zusätzlich ein Adjektiv nötig wäre.

Derivation in der samischen Sprache

Für das Samische ist die Derivation bezeichnend: Aus einem Wort können viele weitere neue Wörter und Konzepte abgeleitet werden. Das ist von Vorteil, wenn sich eine traditionelle Sprache an neue gesellschaftliche Bedingungen anpassen will. Aufgrund äußerer Einflüsse und neuer Formen des Wohnens und der gesellschaftlichen Interaktion unterliegt das Samische einem schnellen Wandel. Direkte Übersetzungen aus dem Norwegischen und Englischen verdrängen traditionelle Ausdrucksformen. Der Satzbau und der ästhetische Gebrauch des Verbs ändern sich rasch. Für das Verständnis der traditionellen samischen Weltanschauung ist die samische Sprache eine Quelle von unschätzbarem Wert. Die Verständnisformen dieser indigenen Kultur rücken so mehr und mehr ins Licht, ihre Bedeutung wird anerkannt.

Der Beitrag über die samischen Sprachen wurde von Harald Gaski geschrieben.