Sachliteratur

Sachbücher aus Norwegen spiegeln seit Jahrhunderten die Identität und Mentalität der Norweger wider. Die ersten norwegischen Sachbuchautoren, die mit der Zeit im Ausland besser bekannt wurden, waren Entdecker und Abenteurer. An Fridtjof Nansen(1861-1930) und Roald Amundsen(1872-1928) erinnert man sich wegen ihrer unglaublichen Polarexpeditionen bis heute. Und die Beschreibungen ihrer Abenteuer und Expeditionen werden immer noch gern gelesen. Thor Heyerdahltrat in ihre Fußstapfen und wurde 1947 mit seiner Kon-Tiki-Expeditionweltberühmt, einem waghalsigen und revolutionären Unterfangen, bei dem eine Segelschiffflotte unter seiner Führung den Pazifik überquerte. Die fantastische Geschichte dieser Reise Kon-Tiki: Ein Floß treibt über den Pazifik (1948) wurde zu einem der größten internationalen Bestseller des 20. Jahrhunderts und in über 70 Sprachen übersetzt. Heute hat eine neue Generation von abenteuerlustigen Autoren das Ruder übernommen, darunter Cecilie Skog, Børge Ousland, Erling Kagge und Liv Arnesen.

Arne Næss, Foto: Nancy Bundt
Lars Fredrik H. Svendsen

Und doch sind nicht alle norwegischen Sachbuchautoren Entdecker oder Abenteurer. Der Philosoph und Autor Arne Næss ist als Begründer der philosophischen Schule der Tiefenökologie bekannt. Er war einer der Vordenker der Umweltbewegung, die ab den 1970ern entstand. Ein weiterer norwegischer Autor, dessen Werke in viele Sprachen übersetzt wurden, ist der Kriminologe Nils Christie. Er schreibt über Gefängnisse, Konflikte und die Bekämpfung von Verbrechen. Christie ist Teil der langen norwegischen Tradition, die sich darum bemüht, komplexe Sachverhalte dem breiten Publikum verständlich zu vermitteln. Ein weiterer Autor in dieser Reihe ist der Sozialanthropologe Thomas Hylland Eriksen. Seine Bücher wurden in über 20 Sprachen übersetzt und umfassen sowohl akademische Fachbücher als auch Bücher für das breite Publikum. Einer der jüngeren Sachbuchautoren, der in dieser Tradition ebenfalls fest verankert ist, ist der Philosoph Lars Fredrik H. Svendsen. Er ist Professor an der Universität Bergen und hat eine Reihe von Philosophiebüchern in wunderbar erzählerischem Ton veröffentlicht. Den Durchbruch hatte er mit Kleine Philosophie der Langeweile (1999). Das Buch wurde ein Bestseller mit Übersetzungen in 25 Sprachen.

Åsne Seierstad, Foto: Kagge forlag

Heutzutage zeichnet sich die norwegische Sachliteratur vor allem durch eine große Bandbreite an Themen und Genres aus. Die im Ausland verkauften Bücher handeln von Philosophie und Psychologie genauso wie vom Stricken und Basteln. Besonderes Interesse gilt den neuen literarischen Stimmen unter den journalistischen Titeln und Dokumentarbüchern. In den letzten Jahren war es Åsne Seierstad,die die meisten Leser in Norwegen und weltweit erreichte. Ihr Buch Der Buchhändler aus Kabul (2002) stand 40 Wochen lang auf der Bestsellerliste der New York Times, Auslandslizenzen sorgten für Übersetzungen in 40 Sprachen. Ihr aktuelles Buch Zwei Schwestern wurde als eines der besten skandinavischen Sachbücher des neuen Jahrtausends gelobt.

Erika Fatland

Die Sozialanthropologin Erika Fatland ist eine weitere norwegische Autorin mit internationaler Anerkennung. Ihre erste Sachbuchveröffentlichung war Ort der Engel: Die Tragödie von Beslan und ihre Folgen, eine fesselnde Dokumentation über die Geiselnahme an einer Schule in Beslan im Jahr 2004. 2012 wurde Die Tage danach veröffentlicht, ein Buch über die Tragödie vom 22. Juli 2011 in Norwegen. In ihrem Buch Sowjetistan: Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan (2014) nimmt sie den Leser auf eine Reise in Länder mit, die selbst der erfahrenste Globetrotter kaum kennt, die aber derzeit von größerer Bedeutung denn je sind. In ihrem jüngsten Buch Grensen (dt.: Die Grenze) aus dem Jahr 2017 reist sie entlang der längsten Grenze der Welt, die mehr als 60.000 Kilometer beträgt und das riesige russische Reich umgibt. Die märchenartige Reise dauerte 259 Tage und führte durch 14 Länder.

Morten Strøksnes, Foto: Baard Henriksen

Das Bedürfnis, Themen mit einem persönlichen Blickwinkel zu beschreiben, verbindet sich oft mit einem weiteren traditionellen Sujet der norwegischen Sachliteratur: der Natur. Ein Beispiel dafür ist Morten Strøksnes Das Buch vom Meer oder Wie zwei Freunde im Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen. Es ist ein ausgezeichnetes Buch über die Natur und das Meer, aber auch eine Reise zu einer der schönsten Inselgruppen der Welt: den Lofoten, im Norden Norwegens gelegen. Zudem wurde das Sachbuch dank der einzigartigen, poetischen Erzählweise zu einem exzellenten internationalen Bestseller.

Erling Kagge, Foto: Lars Petter Pettersen

Die Bücher des Autors, Verlegers und Abenteurers Erling Kagge verbinden ebenfalls den persönlichen Ansatz und die Natur. Kagge ist der erste Mensch, der alle drei „Pole“ zu Fuß erreicht hat: den Nordpol, den Südpol und den Gipfel des Mount Everest. In seinem Buch setzt er sich auf der Grundlage seiner eigenen Erfahrungen u. a. mit der Stille und dem Wandern auseinander. Gemäß der New York Times ist er ein„philosophischer Abenteurer oder vielleicht ein abenteuerlustiger Philosoph“.

Henrik H. Svensen

Die Natur wurde im norwegischen Film, in der Literatur, in der bildenden Kunst und im Journalismus wiederentdeckt. Zahlreiche Bücher sind über die Natur und das Leben in der freien Natur erschienen. Die Bücher stammen aus verschiedenen Genres und beleuchten die Beziehung Mensch und Natur aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Manche Autoren setzen die norwegische Abenteuertradition fort, wie Lars Monsen, ein Abenteurer und Journalist, berühmt für seine Entdeckungsreisen und Expeditionen in die raue Wildnis. Andere erzählen die Kulturgeschichte der Natur, wie Henrik Svensen,der in seinem Buch Bergtatt (dt.: Vom Berg verzaubert) aus dem Jahr 2011 über die Geschichte der Berge und unsere Faszination für große Höhen schreibt.

Lars Mytting, Foto: Julie Pike

Aber nicht nur die Natur fesselt. Viele Menschen wünschen sich in eine einfachere Zeit zurück und wollen lernen, wie man Dinge selbst herstellt, beispielsweise durch Stricken oder Häkeln. Norwegische Hobbybücher sind ein Exportschlager und manche von ihnen verkaufen sich sowohl in Norwegen als auch im Ausland zehntausende Mal. Zu den bekanntesten Autoren in diesem Bereich gehören Arne & Carlos, die alles stricken: vom Kleidungsstück über Spielzeug bis zur Weihnachtsdekoration. Ein Buch, in dem der DIY-Ansatz mit einem besonders starken Zugang zur Natur verknüpft wird, ist Der Mann und das Holz: Vom Fällen, Hacken und Feuermachen von Lars Mytting – ein Buch übers Holzhacken. Es wurde ein großer Bestseller in Norwegen, Deutschland und Großbritannien und ist auch in weiteren Sprachen erschienen. 2016 erhielt es den British Book Industry Award als bestes Sachbuch.

Nina Brochmann, Foto: Anne Valeur
Ellen Støkken Dahl, Foto: Anne Valeur

Einen anderen Zugang zur Natur findet man innerhalb eines anderen Trends der norwegischen Sachliteratur: In populärwissenschaftlichen Büchern. Ein Beispiel ist Viva la Vagina!: Alles über das weibliche Geschlecht, geschrieben von Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl. Auch dieses Buch hatte internationalen Erfolg und wurde mittlerweile in 35 Sprachen übersetzt. Wer schneller denkt, ist früher klug: Alles über das Gehirn (2016) von Kaja Nordengen und Nach Seepferdchen tauchen: Ein Buch über das Gedächtnis (2016) von Hilde und Ylva Østby sind ebenfalls Beispiele für Bücher, die Objektivität, Humor und Relevanz miteinander verbinden. Aber nicht nur Themen, die mit unserem eigenen Körper zusammenhängen, kommen gut an, sondern auch Bücher über Pflanzen und Tiere – wie Das verborgene Leben der Meisen von Andreas Tjernshaugen über die kleinen Vögel, die man in den meisten europäischen Gärten sehen kann.

Als im Jahr 2018 die besten skandinavischen Bücher angekündigt werden sollten, schrieb die norwegische Zeitung Morgenbladet: „Aufgabe der Sachliteratur ist es, das Unbekannte zu enthüllen, das Verborgene und das Neue. Es geht darum, Wissen zu fördern und zu vermitteln und uns im Idealfall zu ermöglichen, die Welt neu zu entdecken.“