Olav H. Hauge, Autor und Obstbauer, wurde nach und nach zu einem der bedeutendsten norwegischen Lyriker des 20. Jahrhunderts; er wurde übersetzt in mehr als 20 Sprachen und war ein wichtiger Übersetzer von Lyrik aus dem Englischen, Deutschen und Französischen.
Olav H. Hauge wurde am 18. August 1908 in Ulvik, Hardanger, geboren und starb dort am 23. Mai 1994. Er besuchte die Mittelschule, doch erkrankte und verfehlte den Abschluss. Nach zwei Jahren auf der Hjeltnes-Gartenbauschule in Ulvik setzte er seine Ausbildung fort: ein halbes Jahr an Norwegens Hochschule für Landwirtschaft in Ås bei Oslo und drei Semester an der Staatl. Versuchsanstalt für Obstbau in Hermansverk in Sogn, Westnorwegen. Er lernte die Bildweberin Bodil Cappelen kennen, sie zog zu ihm, sie heirateten 1978.
Schon als Kind und Jugendlicher las Hauge viel und erwarb breite Kenntnisse und Einblicke in Literatur, Sprache und andere kulturelle Bereiche. Nicht selten war er krank, doch er arbeitete jahrelang auf Höfen in Ulvik und zu Haus auf dem Altenteil seiner Eltern, wo er später auch wohnte. Das Lesen von Büchern war für ihn das Wichtigste. Zwischen 1946 und 1986 publizierte er sieben Gedichtbände und ein Kinderbuch, in der Zeit von 1967 bis 1992 auch Übersetzungen von Lyrik. Posthum (2000) wurde das Tagebuch 1924 - 1994 publiziert. Seine Gedichte erschienen in ständig neuen Ausgaben,2010 Gesammelte Gedichte in der achten Auflage, Gesammelte Übersetzungen 2009 in der vierten.
Ein Dichter kommt
Als Hauge heranwuchs, war Ulvik auf dem Weg in eine neue Zeit. Die "Bergenbahn" (Eisenbahnlinie Oslo – Bergen) wurde fertiggestellt, viele arbeiteten in der Schwerindustrie von Tyssedal und Odda. Hauge nutzte früh schon die Volksbücherei und kam als 15-Jähriger in Kontakt zu seinem Onkel (mütterlicherseits) Edmund, der in den USA lebte und ihm Bücher schickte – und mit ihm über Bücher sprach, nachdem er 1926 wieder heimgekehrt war.
Auf de Mittelschule lernte Hauge englisch und deutsch. Er brachte sich selbst Französisch bei. Das Erlernen von Sprachen für die Arbeit mit Literatur erweiterte seine Orientierung an Dichtung aus allen Ländern und Zeiten und verschaffte ihm eine solide Grundlage für seine spätere Entwicklung hin zu einem bemerkenswerten Lyrikübersetzer.
Neben der norwegischen Tradition ist Hauge in seinem ersten Gedichtband Glut in der Asche inspiriert von den englischen Romantikern. Das Gedicht Gesang an den Sturm zeigt eine Nähe zu Gedichten von P.B. Shelley und A. Tennyson. Die traditionellen Formen gab er niemals auf, doch wandte sich schon bald modernistischen Ausdrucksweisen zu. Einige Verse aus dem Gedicht Fluss jenseits des Fjords (aus dem Band Spät rötet sich Wald in der Schlucht) können als Beispiel dienen: Der Fluss fällt einen Steilhang herab – aber er zeigt uns auch menschliches Geschick. Er
" … fällt
in beklemmenden Traum,
bringt kein Wort vor,
keinen Laut …"
Diese Entwicklung finden wir an vielen Stellen wieder, z.B. auch im einleitenden Gedicht der Sammlung Auf dem Adlerfels (1961): "da spiegeln traumblau Gipfel sich" heißt es im ersten Teil, während der zweite von Lebenskampf und Streit spricht:
"Felsschranke
gegen Tags
verheerende
Feuer."
Von den 1960er Jahren an gewann Hauge ein wachsendes Publikum aus allen Bevölkerungsschichten. Er war ein ausgezeichneter Rezitator und während der Bildungsexplosion der 70er Jahre erreichte er große Gruppen kulturell und politisch engagierter Jugendlicher.
Natur und Tradition
Naturphänomene stellt Hauge fachlich korrekt dar, gleichzeitig zeigen sie menschliche Züge, Situationen und Umstände. Ein Gedicht wie Unter dem Bergsturz (1951) kombiniert die Schilderung eines bedrohlichen Naturphänomens mit Reflexionen über die menschliche Existenz, sowohl konkret in und mit der Natur als auch unter allgemeinen Voraussetzungen. Hier haben auch gefühlsstarke Kriegsgedichte ihren Platz, nicht zuletzt in dem Band Frag den Wind, der zur Zeit des Vietnamkrieges erschien.
Seinem Verhältnis zur Natur verwandt war sein Verhältnis zur Volksdichtung und anderen Volkstraditionen und zur altnordischen und westlichen Tradition – wie auch zur östlichen, der klassischen chinesischen Lyrik und dem japanischen Haiku ebenso wie den östlichen Religionen, vor allem dem Zen-Buddhismus. Hauge zeigt eine selbstverständliche Einfühlung in solche Traditionen. Er spricht gleichsam direkt zu und von einem Akestes (in der Aeneis), klassischen Chinesen, Figuren der nordischen Tradition wie Ogmund von Spånheim (Saga von Håkon Håkonsson), Leiv Eiriksson und anderen. Solche Gedichte sind auch oft Metatexte, z.B. Ich hab drei Gedichte. Es erzählt von Emily (Dickinson), die viele Gedichte schrieb, doch nahezu nichts publizierte:
"sie riss bloß eine Teepackung auf
und schrieb ein neues."
So soll ein Gedicht sein, es
"soll riechen – nach Tee
oder nach roher Erde und frischgespaltenem Holz."
Hauge kann als Romantiker und als Modernist gelesen werden. Sprachlich folgte er der Nynorsk- Tradition und hielt sich an die (zu seiner Zeit schon veralteten) orthografischen Regeln von 1919 und wies Importworte aus dem Dänischen und dem Deutschen ab. Politisch war er kritisch linksorientiert.
Scham und Ernst
Auf seine eigene Entwicklung hat Hauge humoristisch angespielt in dem Gedicht Ich sang von einem dürren Zweig (1971). Dürre Zweige gibt es auch in dem starken Porträtgedicht Der Gärtner träumt (1946, umgearbeitet 1964). Ein Friedhof mit einer großen Traubenkirsche und anderen Pflanzen an der Kirchenmauer bildet die Szenerie, wo "einer hingeht und harkt Blätter ein", der aber schon bald sich hinwegträumt und "seine Gedanken schweifen" lässt. Traum, Traubenkirsche und Kirchenmauer sind in Ich sang von einem dürren Zweig getauscht gegen eine humoristische Reihe:
"nun sing ich
von Hummeln,
die sich hier
tummeln
im Gelände,
bis sie
vergeblich
brummeln
an Wänden".
Solcher Humor findet sich meist in seinen späteren Büchern, auch im ABC-Band (1986), worin jedem Buchstaben Verse von Hauge und eine Illustration von Bodil Cappelen zugeeignet sind. Aber der Ernst bleibt ihm bis zuletzt, so in Ich raste unter einer alten Eiche an einem Regentag (1980). Die alte Eiche wird zu einem Subjekt, mit dem gemeinsam das alte Dichter-Ich sinniert.
Hauges Gedankenleben zeigt sich darüber hinaus in den Tagebüchern. Hier treffen wir auf ein quicklebendiges Denken, auf Reflexionen über die eigene Existenz und das tägliche Dasein und nicht zuletzt über Literatur und Kunst und Phänomene des gesamten kulturellen Lebens.
Aus dem Norwegischen von Klaus Anders.
Quellen
Hadle Oftedal Andersen: Poetens andlet. Om lyrikaren Olav H. Hauge (2002)
Einar Bjorvand und Knut Johansen (Hg.): Olav H. Hauge. Ei bok til 60-årsdagen 18. august 1968 (1968)
Andreas Bjørkum: Målmeistaren frå Ulvik. Ord og former hjå Olav H. Hauge (1998)
Bodil Cappelen und Ronny Spaans (Hg.): Tid å hausta inn. 31 forfattarar om Olav H. Hauge (2008)
Katherine Hanson: Nature Imagery in Olav H. Hauge's Poetry, Online-Ausgabe, Doktorarbeit an der University of Washington (1978)
Ole Karlsen: Fansmakt og bergsval dom. En studie i Olav H. Hauges romantiske metapoesi (2000)
Atle Kittang: «Olav H. Hauge og dagbøkene hans», in Olav H. Hauge: Dagbok 1924–1994 Band I (2000)
Idar Stegane: Olav H. Hauges dikting. Frå «Glør i oska» til «Dropar i austavind» (1974)
Cathrine Strøm und Aasne Vikøy (Hg.): Omsetjaren Olav H. Hauge (2009)
Staffan Söderblom: Och jag var länge död. Läsningar av det ambivalenta: Olav H. Hauge (2006)
Terje Tønnessen (Hg.): Tunn is. Om Olav Hauges forfattarskap (1994)
Knut Olav Åmås: Mitt liv var draum. Ein biografi om Olav H. Hauge (2004)
Weitere Informationen zu Olav H. Hauge finden Sie auf der Webseite des Olav H. Hauge Zentrums in Ulvik www.haugesenteret.no.