Im Sommermonat Juli geht unsere Übersetzerstafette an einen der profiliertesten Übersetzer des Landes. Dank Hinrich Schmidt-Henkel können deutsche Leserinnen und Leser die Werke großer norwegischer Literaten wie Kjell Askildsen, Jon Fosse und Henrik Ibsen auch im Deutschen genießen.
Den Übersetzern und ihrem hervorragenden Einsatz ist es zu verdanken, dass norwegische Literatur heute so erfolgreich in die Welt hinausgetragen werden kann. Um Licht auf ihre anspruchsvolle Arbeit zu werfen, haben wir eine Interviewreihe gestartet, in der wir Übersetzer und Übersetzerinnen, die aus dem Norwegischen ins Deutsche übersetzen, besser kennenlernen.
Hinrich Schmidt-Henkel wurde 1959 in Berlin geboren. Er absolvierte ein Studium der Germanistik und Romanistik und arbeitet seit 1987 als literarischer Übersetzer aus dem Norwegischen, Französischen und Italienischen. Zu den von ihm übersetzten norwegischen Autoren gehören unter anderem Tomas Espedal, Lars Mytting, Jon Fosse, Kjell Askildsen und Henrik Ibsen. Für seine Arbeit wurde er bereits vielfach ausgezeichnet. 2018 erhielt er "für die Förderung der kulturellen Beziehungen zwischen Norwegen und Deutschland" den Königlich Norwegischen Verdienstorden, Ritter 1. Klasse. Von 2008 bis 2017 war Hinrich Schmidt-Henkel Vorsitzender des Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke (VdÜ).
Lieber Hinrich, wann haben Sie sich entschieden und was hat Sie dazu motiviert, Bücher zu übersetzen?
Literaturübersetzen ist die geniale Verbindung von Literatur-und Sprachenliebe zu einer literarischen Praxis! Bücher habe ich von klein auf verschlungen; Sprache und Sprachen waren mir immer zentral wichtig. Dann wurde mir mit 26 Jahren als künftiger Deutsch- und Französischlehrer auf einmal klar, was ich immer hätte wissen können, da meine Eltern mit dem bekannten Übersetzer Eugen Helmlé befreundet waren: Literaturübersetzen ist ja ein Beruf. Und ich hatte immer gern übersetzt: Wenn ein fremdsprachiger Text mir besonders gefiel, war es mir schon als Jugendlicher ein Bedürfnis, ihn in die eigene Sprache zu bringen.
An welchem norwegischen Werk arbeiten Sie momentan und wovon handelt es?
Erzählungen von Tarjei Vesaas – markante Lebenssituationen und –stationen, in einer absolut faszinierenden Sprache, zart und kraftvoll, archaisch und zeitgenössisch. Vesaas ist mit zwei Romanen und je einem Band Gedichte und Erzählungen ein Schwerpunkt meiner Produktion für die Buchmesse 2019, die seit zwei Jahren konzentriert läuft, Werke von Jon Fosse, Tomas Espedal, Erik Fosnes Hansen, Lars Mytting, Ibsen - und dem Gesamtwerk von Kjell Askildsen.
Übersetzen Sie stets ein Buch nach dem anderen, oder arbeiten Sie an mehreren Werken gleichzeitig?
Schon länger herrscht wegen dem Gastlandauftritt bei vielen, die aus dem Norwegischen übersetzen, Ausnahmezustand. Ich übersetze derzeit täglich eine Schicht Vesaas und eine Schicht Askildsen. In der Regel arbeite ich jeweils nur an einem Text, aber es kommt schon mal vor, dass ich einen kürzeren Roman während der Übersetzung eines längeren dazwischen nehme oder für ein Theaterstück eine Pause einlege – oder eben im Zweischichtenbetrieb arbeite.
Ihnen liegen besonders die Klassiker am Herzen. Warum sollte man heute noch norwegische Klassiker lesen?
Es scheint nur so, als hätte ich so eine Vorliebe, es trifft eigentlich nicht zu, trotz mancher Neuübersetzung, auch aus dem Französischen. Aber Beispiel Ibsen: In guten Inszenierungen hat er auch uns Heutigen etwas über uns zu sagen. Insgesamt wird ein Buch ja erst zum Klassiker, wenn es immer wieder übersetzt wird, wenn jede Zeit es sich neu aneignet.
Sie arbeiten aber nicht nur als literarischer Übersetzer, sondern übernehmen auch häufig Moderationen von Lesungen und waren langjähriger Vorsitzender des Literaturübersetzer-Verbandes VdÜ. Heute sind Sie noch als Beisitzer im Vorstand aktiv und setzen sich unermüdlich für die Rechte der Übersetzerinnen und Übersetzer ein. Woher rührt dieses Engagement?
Aus der Überzeugung, dass es wichtig ist, sich zusammenzutun und die eigenen Belange miteinander zu vertreten – ob als Schüler, Studenten, als Angehörige welcher Berufe oder gesellschaftlicher Gruppen auch immer. Von solchem Engagement anderer habe ich auch sehr profitiert, beruflich wie privat. Seit meinen Anfängen als Übersetzer hat mich immer beeindruckt, wie in unserer Zunft die Erfahrenen ihr Wissen weitergeben, wie durch Austausch und Miteinander-Teilen der Karren für alle weitergebracht wird.Ich finde so eine Selbststärkung als Gruppe sehr wichtig. Ich habe das Bedürfnis, zu diesem Miteinander in der Übersetzerschaft etwas beizutragen. Und ich bin ein großer Fan der Einstellung, dass das, was ist, verändert/verbessert werden kann, zumal gemeinsam.
Wie wichtig ist der Austausch mit dem Autor und wie häufig sind Sie in der Regel in Kontakt?
Ich nehme immer Kontakt zu „meinen“ AutorInnen auf – auch hier ist Kommunikation mir wichtig. Das ergibt dann alles auf der Skala von nüchternem Arbeitskontakt, zwei Mails pro Buch, bis hin zu freundschaftlichen Beziehungen und reger Korrespondenz. Und gern umfängliche Tischgesellschaften bei Frank Heibert und mir zu Hause, mit Freunden, Verlagsleuten, Agent(inn)en, Journalist(inn)en. Ich sehe uns Übersetzer als literarische Komplizen der Autoren, auch als kritische Instanz – wobei diese Kritik mal mehr, mal wenig willkommen ist. Menschlich.
Ihre Übersetzerkollegin Ina Kronenberger, die Ihnen den Staffelstab weiterreicht, hat erzählt, dass sie sich noch gut daran erinnert, wie sie Sie ganz zu Anfang ihrer Übersetzerlaufbahn bei einem von Ihnen geleiteten Übersetzerseminar aus dem Französischen kennengelernt hat, und Sie sie zu ihrer großen Überraschung mit einem norwegischen „Velkommen hit“ begrüßt haben. Das hat Eindruck hinterlassen und eine Verbindung geschaffen. Sie seien zu einer Konstante in ihrem Übersetzerleben geworden. Nun möchte Ina Kronenberger von Ihnen wissen, ob es etwas gibt, das Sie in ihrem Beruf noch heute zu überraschen vermag?
Mich hat das, was Ina da sagte, überrascht und sehr bewegt. Und zu der Frage: Kaum ein Beruf dürfte so an Überraschungen und anderen Dingen reich sein, die unserer Neugier und Aufmerksamkeit wert sind. Jeder neue Auftrag, jeder neue Fachbegriff, jede neue stilistische Welt, die es zu erschließen gilt ...
Was machen Sie, wenn Sie mal gerade nicht mit Literatur oder Übersetzungen beschäftigt sind?
Gartenarbeit. Bewegung. Brotbacken. Kochen, für je mehr Leute, desto besser. Chorsingen. Und davor, dabei, danach Ehrenamt.
Gibt es eine Begegnung/ ein Ereignis, worauf sie sich auf der Frankfurter Buchmesse 2019 besonders freuen?
Begegnungen, Begegnungen, Begegnungen. Die internationale Präsentation des ersten Bandes von Jon Fosses Heptalogie. Der andere Name. Mein größter Traum ist, noch vor der Buchmesse dem dann 90jährigen Kjell Askildsen in Oslo von Hand zu Hand ein Exemplar seiner gesammelten Werke auf Deutsch übergeben zu können. Ich liebe den Menschen und ich liebe, wie er schreibt - darum habe ich diesen Auftrag übernommen, obwohl ich eigentlich schon ausgebucht war. So etwas begleitet einen dann zwei Jahre lang sehr intensiv, und Außenstehende können sich gar nicht vorstellen, dass man dabei auch noch glücklich ist.
An welche Kollegin möchten Sie die Übersetzerstafette weiterreichen und was möchten Sie gerne von ihr wissen?
Ebba Drolshagen! Eine nahe Freundin und wunderbare Kollegin und Autorin; ich kenne eigentlich niemanden, der so wie sie Wärme und Mitmenschlichkeit mit einem intelligent-spöttischen Blick auf die Dinge des Lebens verbindet. Das Gegenteil einer Zynikerin. Und unbedingt lesen: Ihre (für 2019 überarbeitete) „Gebrauchsanweisung für Norwegen“ – höchst aufschlussreich, auch wenn man denkt, man weiß schon alles über Land und Leute.
Liebe Ebba, ich denke, für die Leserinnen der Stafette könnte interessant sein, wie deine sprachliche Zweibeinigkeit aussieht und welche Rolle sie in deinem Leben und in deiner Arbeit spielt.