Die Übersetzerstafette: Elke Ranzinger

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Interview

Im Buchmesse-Monat Oktober geht die letzte Runde unserer Übersetzerstafette an die beeindruckende Übersetzerin Elke Ranzinger, die dem Theateralltag entflohen ist und durch den Wunsch, mit ihren Freunden über norwegische Bücher sprechen zu können, zur Übersetzung gefunden hat.

Elke Ranzinger. Foto: Reiner Mnich

Den Übersetzern und ihrem hervorragenden Einsatz ist es zu verdanken, dass norwegische Literatur heute so erfolgreich in die Welt hinausgetragen werden kann. Um Licht auf ihre anspruchsvolle Arbeit zu werfen, haben wir eine Interviewreihe gestartet, in der wir Übersetzer und Übersetzerinnen, die aus dem Norwegischen ins Deutsche übersetzen, besser kennenlernen.

Elke Ranzinger, geb. 1980 in Passau, studierte Theaterwissenschaft, Nordistik und Neuere Deutsche Literatur in München und Bergen. Nach mehreren Jahren als Schauspieldramaturgin am Landestheater Linz arbeitet sie seit 2015 freiberuflich von Berlin aus als Dramaturgin und Moderatorin, vor allem aber als Übersetzerin norwegischer Prosa, Dramatik und Musicals. Momentan bereitet sie sich auf die Lesereise mit Helga Flatland und deren Roman „Eine moderne Familie“ vor, bevor es Anfang November zurück an den Schreibtisch geht, wo Tore Renbergs Stück „Tante Jane“ auf sie wartet.

Liebe Elke, wann haben Sie sich entschieden und was hat Sie dazu motiviert Bücher zu übersetzen?

Eigentlich war das weniger eine wohlüberlegte Entscheidung als eine plötzliche Idee, die überraschender- und glücklicherweise Realität geworden ist. Ich war fast 33 und seit meinem 16. Lebensjahr hatte Theater im Mittelpunkt meines Lebens gestanden - erst als Statistin, dann als Regieassistentin und zuletzt als Schauspieldramaturgin. Theater war ein halbes Leben lang alles für mich gewesen, aber mit einem Mal fragte ich mich, war das auch schon alles, will ich das alles noch oder gibt es nicht vielleicht einen Ort, an dem meine Fähigkeiten besser zur Entfaltung kommen?

Da der Theaterbetrieb für das Nachdenken über solche Fragen keine Zeit lässt, entschied ich mich zur Kündigung und verordnete mir ein Jahr ohne Ziel, Zweck und Zukunftsplanung. Also eine wirkliche Pause. Ich wollte sehen, was daraus entsteht. Jedenfalls gab es danach für mich kein Zurück in die Theaterfestanstellung. Aber ich wollte weiterhin mit Literatur, mit Sprache arbeiten.

Da fiel mir ein, dass ich einmal als Dramaturgin ca. zehn Seiten aus Knausgårds «Min kamp 6» übersetzt hatte, weil sie wichtige Denkanstöße für eine Theaterproduktion beinhalteten, und wir ja nicht die Premiere ein paar Jahre verschieben konnten, um auf die Übersetzung zu warten (damals war gerade mal Band 1 auf Deutsch erschienen). Ich erinnerte mich also daran, wie viel Spaß mir diese Arbeit gemacht hatte und verschlang zur gleichen Zeit nach einem Norwegenurlaub Tore Renbergs Vi sees i morgen. «Mist, über dieses Buch würde ich gerne mit meinen nichtnorwegischsprechenden Freund*innen diskutieren können!», dachte ich und eins kam zum anderen und jetzt, fünf Jahre später, habe ich tatsächlich nicht nur dieses Buch, sondern noch fünf weitere, plus einige Musicals, Theaterstücke und Kurzgeschichten übersetzt. Und allmählich wage ich es, mich Übersetzerin zu nennen.

Was gefällt Ihnen besonders an dem Beruf der Übersetzerin?

Übersetzen heißt für mich, in unglaublich unterschiedliche sprachliche Denkwelten von Autor*innen einzutauchen, bis ich ihre literarische Phantasie auf Deutsch denken und schreiben kann. Dass ich meinen Tag mit dieser Anverwandlung, Horizonterweiterung und dem Bilden „schöner“ Sätze verbringen darf, lässt mich immer wieder lächelnd staunen.

Elke Ranzingers Schreibtisch zuhause in Berlin. Foto: Elke Ranzinger

Sie waren 2018 für zwei Wochen zu Gast im Übersetzerhotel in Oslo. Was bedeuten Ihnen solche Aufenthalte in Norwegen?

Vor dem Übersetzen reiste ich jedes dritte Jahr im Sommer für einen Monat durch Norwegen, um zu wandern, um in der Natur zur Ruhe zu finden, ja eher, um niemandem zu begegnen – damit bin ich bis weit über den Polarkreis gekommen, wo im Erleben des dauerhaften Tageslichts meine Einstellung zum Phänomen der Zeit nachhaltig hinterfragt wurde.

Jetzt versuche ich mindestens einmal im Jahr in Norwegen zu sein, meist in Oslo, um mein Norwegisch lebendig zu halten, um private und berufliche Kontakte aufzubauen oder zu vertiefen, um Veränderungen in der Gesellschaft zumindest punktuell am eigenen Leib zu erfahren. Beim Übersetzerhotel durfte ich dabei noch drei Übersetzer-Kolleginnen aus anderen Ländern kennenlernen, und es macht einen Riesenspaß, sich in einer gemeinsamen Fremdsprache über die kulturellen Unterschiede der Heimatländer zu unterhalten. Jeder Blick über den Tellerrand ist für mich eine bereichernde Erfahrung.

Gibt es ein norwegisches Wort, von dem Sie sich wünschen, dass es auch im Deutschen existieren würde? Und wenn ja, warum?

Bestimmt! Aber warum fallen mir diese Worte eigentlich nie ein, wenn man mich danach fragt? Auf jeden Fall gibt es Worte, die ich mehr auf Norwegisch „fühle“ und deren Übersetzung mir immer aufs Neue schwerfällt.

In diesem Herbst erscheinen in Ihrer Übersetzung unter anderem die Familienromane Eine moderne Familie von Helga Flatland (Weidle Verlag) und Tage in der Geschichte der Stille von Merethe Lindstrøm (Matthes & Seitz Berlin). Ihr Übersetzerkollege Thorsten Alms, der Ihnen den Staffelstab weiterreicht und dem diese Form von Literatur besonders gefällt, möchte gerne von Ihnen wissen: Was reizt Sie an dieser Art von Literatur?

Familienkonstellationen bergen immer Drama. Und ich mag Drama. Ich mag das Schwierige und Dunkle. Darin finde ich persönlich Trost. Denn in der Auflösung liegt die Möglichkeit, die Welt neu zu ordnen. Im Verlieren, die Chance zu suchen. Wobei mich das Finden oder die Lösung dann schon wieder nicht mehr so sehr interessiert. Und so unterschiedlich diese beiden Bücher sowohl dramaturgisch wie auch stilistisch sind, sie handeln von Figuren auf der Suche.

Und weiter wollte Ihr Kollege wissen, was Sie von Ihrer langjährigen Theaterarbeit in die Übersetzungstätigkeit mitnehmen können?

Da ich den Theaterbetrieb rechtzeitig verlassen habe, die idealistische Überzeugung, dass man mit Kunst die Welt verändern kann, und eine über viele Theaterproduktionen und Diskussionen geschärfte Weltanschauung, die mich bisher zu all meinen Übersetzungsprojekten geführt hat. Für mich spielt es weiterhin eine große Rolle, dass ich mit meinem kreativen Tun Themen und Gedanken in Umlauf, ins Gespräch bringe, die ich für die Gesellschaft wichtig finde. Dabei unterscheiden sich die Tätigkeiten gar nicht so sehr: Als Dramaturgin helfe ich, einen Text vom Papier auf die Bühne, in Körper zu bringen, als Übersetzerin bringe ich sie von einer Sprache in eine andere. Beides erfordert ein genaues Durchdringen von Textgewebe.

Welches norwegische Buch sollte jeder deutsche Literaturenthusiast gelesen haben?

Was antwortet man darauf als Übersetzerin von ausschließlich Herzensprojekten?

Nein, ich kann nicht sagen, was jede*r gelesen haben sollte, aber wer wie ich dicke Bücher über Theater, Musik, Literatur, Kunst und das Leben nicht als Herausforderung, sondern als Wegbegleitung sieht, der kommt an Johan Harstads „Max, Mischa und die Tet-Offensive“ (übersetzt von Ursel Allenstein, Rowohlt Verlag) nicht vorbei. Und die Lektüre, auf die ich mich persönlich nach der Buchmesse schon jetzt freue, ist Hinrich Schmidt-Henkels Neuübersetzung von Tarje Vesaas‘ „Das Eis-Schloss“ (Guggolz Verlag).

Gibt es eine Begegnung/ ein Ereignis auf das Sie sich auf Frankfurter Buchmesse 2019 besonders freuen?

Ich freue mich darauf, dass alle von mir übersetzten Prosa-Autor*innen einen Auftritt im Gastlandpavillon haben und bei diesen Gesprächen werde ich natürlich im Publikum sein. Vor allem freue ich mich dabei auf Merethe Lindstrøm, der ich bisher nur schriftlich und literarisch begegnet bin.

Sie sind die letzte Teilnehmerin unserer Interviewreihe „Die Übersetzerstafette“, mit der wir Licht auf die anspruchsvolle Arbeit der Übersetzerinnen und Übersetzer werfen möchten. Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Übersetzerberufs?

Erst einmal wünsche ich mir, dass ich den Staffelstab nicht ins Ziel bringe, sondern dass wir ihn aus Deutschland hinaus in die Welt tragen zu den Norwegischübersetzer*innen rund um den Erdball. Ich glaube nämlich, Übersetzen ist überall eine Tätigkeit, die zu wenig Aufmerksamkeit erhält. Und eben die wünsche ich uns Übersetzer*innen - nicht nur für unser ganz persönliches Glück, sondern auch, damit wir selbstbewusst und stark genug sind, uns für faire Bedingungen und den Fortbestand unseres Berufs z.B. gegen die Digitalisierung einsetzen zu können. Wenn keiner weiß, was wir tun, erscheinen wir zu schnell ersetzbar und nichts wert.

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