Sehnsucht nach Zugehörigkeit

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Geschrieben von Atle Nielsen, BOK365

Im Juli veröffentlichte Trude Marstein ihren neuen Roman. Der letzte liegt zu lang zurück. „Das stimmt“, gibt die Autorin lächelnd zu, „mein letzter Roman erschien vor sechs Jahren, das ist wirklich zu lang. Drei Jahre sind okay, aber nicht sechs.“

Trude Marstein, Foto: Rolf M. Aagaard

Die preisgekrönte Schriftstellerin nennt verschiedene Gründe, warum sie so lang an Så mye hadde jeg ("So viel hatte ich", noch nicht auf Deutsch erschienen) gearbeitet hat. Mitten im Schreibprozess wurde sie Mutter eines inzwischen dreijährigen Kindes. Außerdem dauerte es eine Weile, bis sie sich für den Rahmen ihres Romans entscheiden konnte, was das Schreiben zusätzlich in die Länge zog.

„Ja, das ist richtig. Ich habe lange nicht gewusst, ob meine Hauptperson männlich oder weiblich sein soll. Schließlich habe ich mich für eine weibliche Protagonistin entschieden, wie zuletzt vor 18 Jahren. Ich finde es grundsätzlich einfacher, aus einer männlichen Perspektive zu schreiben. Dadurch bekomme ich eine Art … Fremde umsonst. Das klappt natürlich mit Frauen auch, aber nicht auf dieselbe Weise. Und während des Schreibprozesses war ich mehrmals kurz davor, das Geschlecht zu wechseln. Plötzlich kam es mir gefährlich vor, mit einer weiblichen Protagonistin zu arbeiten, aber ich war zu feige, es mir anders zu überlegen. Irgendwann bin ich an den Punkt gekommen, an dem ziemlich klar wurde, dass sie mir gar nicht ähnlich ist, und von da an war alles in Ordnung“, erzählt Marstein.

Monika – 13 bis 58

Im Roman begegnen wir der 13-jährigen Monika, die weiß, dass alles, was sie erlebt, später zu einer anderen Zeit gehören wird. Wir treffen Monika als 27-Jährige wieder, als sie die Liebhaberin eines älteren Professors ist. Mit 37 lebt sie mit Geir zusammen, sie haben eine Tochter namens Maiken, die rhythmisch an ihrem Nuckel saugt und einen Streifen nackter Haut am Hinterkopf hat. Als 46-Jährige hat sie einen Stall voller zänkischer Hühner und meint, das Leben besteht aus den gescheiterten Versuchen des Zusammenlebens. Als sie 52 Jahre alt ist, sieht sie das Gesicht ihrer Mutter im Spiegel über dem Gemüse im Supermarkt.

Så mye hadde jeg erzählt von der Sehnsucht nach einem Leben mit Zugehörigkeit und Sinn. Gleichzeitig schildert es das Gefühl, wenn einem alles entgleist, wenn man glaubt, nichts mehr festhalten zu können, und dass man vielleicht weder zu jemandem gehören will, noch kann.

Was Monika umtreibt? „Diese Frau hat in ihrem Leben viele Verluste erlitten. Wir begleiten sie ab ihrem 13. Lebensjahr im Jahr 1973 bis sie 58 Jahre alt ist. Ich habe von verschiedenen Winkeln aus begonnen, über sie zu schreiben. Nach und nach wurde sie interessant. Ihre Gewöhnlichkeit wurde immer greifbarer und schließlich entwickelte sie sich zu jemandem, den wir wiedererkennen können.

Ein Selbstportrait?

„Nein, das ist Monika nicht. An einem Punkt ihres Lebens ist sie die Liebhaberin eines Professors. Das bin ich beispielsweise nie gewesen.“ Marstein lacht. „Das ist ein Klischee. Ich benutze viele Klischees.“

Wie läuft die Arbeit während einer intensiven Schreibphase ab?

„Ich stehe um halb sechs auf und beginne zu schreiben, dann habe ich mindestens eine Stunde, bevor die Kinder aufwachen. Direkt nach dem Aufstehen arbeite ich wirklich am effektivsten und will diese Zeit nicht mit Broteschmieren und Kleider rauslegen vergeuden.“

Der Wunsch zu schreiben

Trude Marstein hat immer gewusst, dass sie Schriftstellerin werden wird. Seitdem sie klein war, hat sie heimlich geschrieben. Nachdem sie in Bø Literarisches Schreiben studiert hatte, debütierte sie mit der Prosatextsammlung Sterk sult, plutselig kvalme ("Starker Hunger, plötzliche Übelkeit", noch nicht auf Deutsch erschienen), für die sie mit dem Tarjei-Vesaas-Debütantenpreis ausgezeichnet wurde – der erste einer Reihe von Literaturpreisen, die sie für ihr Werk erhalten hat.

Marstein weist darauf hin, wie wichtig es ihr ist, dass ihre eigenen Meinungen und Gesinnungen nicht in ihren Texten zu erkennen sind.

„Die Personen müssen in diesen Erzählungen auftreten, ohne dass ich sie verteidige oder verurteile. Sie sind einfach nur da und leben ihr Leben. Meine Herausforderung ist es, aus einem gewöhnlichen Menschen, in dessen Leben nicht viel Dramatisches passiert, eine interessante Person zu erschaffen, durch dieses intensive menschliche Dasein in der Wirklichkeit.“

Aus dem Norwegischen von Karoline Hippe

Für mehr Information

Gyldendal: Trude Marstein

Gyldendal Agency: Så mye hadde jeg

Books from Norway: Så mye hadde jeg

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