Drei Schicksale in Einem

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Geschrieben von Atle Nielsen , BOK365

Ein abgelehnter Adoptionsantrag treibt eine Frau in den Wahnsinn und lässt sie zur Stalkerin werden. Brit Bildøens neuer Roman beruht auf eigenen Erfahrungen, nimmt jedoch eine Wendung, die ganz und gar nichts mit dem Selbsterlebten zu tun hat.

Brit Bildøen, Foto: Tove Breistein

In Tre vegar til havet ("Drei Wege zum Meer", noch nicht auf Deutsch erschienen) begegnen wir einer Frau, die sich in einen kleinen Küstenort zurückgezogen hat. Sie verdient ihren Lebensunterhalt mit dem Beringen von Vögeln und will nicht an ihr früheres Leben zurückdenken.

Die drei Erzählungen „Eksilet“, „Kroppen“ und „Staten“ (Exil, Körper, Staat) bilden zusammen eine Geschichte über Verzweiflung, Rache und selbstgewähltes Exil. Im Mittelpunkt steht eine Frau, deren Antrag, ein Kind aus China zu adoptieren, abgelehnt wurde – ein Kind, auf das sie seit vier Jahren gewartet hat. Das führt dazu, dass sie eine Psychose entwickelt und beginnt, einen Jugendamtsmitarbeiter zu verfolgen.

Bildøens Buch ist die Darstellung einer Bürokratie, die keine Rücksicht auf Einzelschicksale nimmt – vor dem Hintergrund einer Zeit, in der die Biodiversität rapide abnimmt, Vogelarten verschwinden, und Menschen sich der Gesellschaft allein und wehrlos ausgeliefert fühlen.

Schreibkunstakademie

Brit Bildøen (*1962) arbeitete als Bibliothekarin im Industrieort Husnes in Westnorwegen, bevor sie sich bei der „Schreibkunstakademie“ in Bergen bewarb. Dort waren so renommierte norwegische Autoren wie Jon Fosse und Ragnar Hovland ihre Lehrer. Bildøens Jahrgang erwies sich als besonders gut: acht der zehn StudentInnen schaffen den Schritt zum professionellen Schreiben. Darunter Bildøen, die 1991 mit der Gedichtsammlung Bilde av menn debütierte. Seitdem sind von ihr eine Reihe von Büchern verschiedener Genres erschienen.

Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt – u.a. ihr Roman Adam Hiorhts veg, der 2014 unter dem deutschen Titel Die Norwegenreise des ehrbaren Jon Utskott in der Übersetzung von Frank Zuber im Verlag Martin Wallimann erschien.

Ihr neuer Roman unterscheidet sich von ihren vorherigen – scheint im Horizont der „virkelighetslitteratur“ (Wirklichkeitsliteratur) zu stehen, der derzeit in Norwegen gebräuchlich ist. Ist der Roman Bildøens Beitrag zu diesem Genre?

„Ich mag die Bezeichnung ‚virkelighetslitteratur‘ eigentlich nicht“, sagt Bildøen. „Autoren gehen oft von eigenen Erfahrungen aus. Und das habe ich jetzt getan.“

Auf die Frage, wie viel von diesen eigenen Erfahrungen im Roman steckt, antwortet sie: „Nicht sehr viel. Die Adoptionsgeschichte ist meine eigene. Die habe ich genauso durchgemacht wie meine Hauptfigur. Als mein Mann und ich den Adoptionsantrag für ein Kind aus China stellten, befanden wir uns noch innerhalb der Altersgrenze, die von den norwegischen Behörden für eine Adoptionsbewilligung gesetzt wird. Doch kurz bevor wir an der Reihe waren, waren wir nach Ansicht der Behörden zu alt und bekamen keine erneute Bewilligung. Im Roman findet man authentische Briefwechsel und Sachbearbeitungsdokumente. Der Unterschied zwischen mir und der Frau im Roman ist, dass sie danach beginnt, den Sachbearbeiter zu verfolgen, zur Stalkerin wird.“

Kampf gegen die Bürokratie

Bildøen ist in einer Inselgemeinde im Norden von Westnorwegen aufgewachsen: Aukra bei Molde. Wie stark wird ihr Schreiben durch diesen Hintergrund beeinflusst?

„Sehr stark. In etwa jedem zweiten meiner Bücher spielt die Handlung auf dem Land. Die anderen spielen in der Stadt. In meinem letzten Roman Sju dager i August ("Sieben Tage im August", noch nicht auf Deutsch erschienen) ist Oslo der Ort der Handlung. Der neue Roman spielt hauptsächlich in einem kleinen Ort im Südwesten Norwegens.“

In diesem neuen Roman, Tre vegar til havet, lernen wir drei verschiedene Frauenschicksale kennen. Nach und nach wird bei der Lektüre deutlich, dass sie auf dieselbe Frau verweisen: die Frau, die sich für die Isolation entschieden hat, und versucht, den Gedanken an ihre Vergangenheit aus dem Weg zu gehen. Beim Lesen wird verständlich, warum sie die Isolation gewählt hat.

„Nachdem wir als Adoptionseltern abgelehnt wurden, überlegte ich mir, die Erfahrungen mit unserer Adoptionsgeschichte für ein Buch zu verwenden, aber lange erschien mir das zu schwierig. Doch nach einer Weile habe ich eine geeignete Form gefunden. Es war wie eine Befreiung, als mir klar wurde, dass die Adoptionserfahrung als Basisgeschichte dienen würde, die ich weiterschreiben konnte“.

Preisgekrönt und übersetzt

Brit Bildøen erhielt 2014 den hochdotierten Romanpreis des Radiosenders P2 für ihren Roman Sju dager i august. Darin geht es unter anderem um die Trauerarbeit nach der Massenmord-Tragödie, die sich 2011 in Norwegen ereignete.

Der Roman wurde in mehrere Länder verkauft – und erschien bereits als Übersetzung ins Chinesische und Englische – zudem von der Autorin als Theaterstück umgeschrieben, das im Osloer Det Norske Teatret aufgeführt wurde.

Im vergangenen Jahr war Bildøen auch als Autorin von Liedertexten des Musicals Kristin Lavransdatter erfolgreich, das auf der gleichnamigen, mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Romantrilogie von Sigrid Undset basiert.

„Liedtexte werden oft stiefmütterlich behandelt, erzählen die Leute, die an Musicals arbeiten. Und als der Dramaturg mich fragte, ob ich die Liedtexte übernehmen würde, machte ich mich an die Arbeit. Das hat einfach einen Riesenspaß gemacht“, schwär

mt Bildøen.

Neben dem Schreiben arbeitet sie auch als Übersetzerin und ist gerade dabei, Gertrude Steins Autobiographie von Alice B. Toklas ins Nynorsk zu übertragen.

Erholung findet Bildøen beim Lesen auf dem Sofa. Aber bald geht es wieder ans Schreiben in ihrer Wohnung in Oslo. Oder in ihrem Schreibzimmer, das an einem Ort liegt, der dem in dem Roman Tre vegar til havet ähnelt: ein Fischerdorf in Nordwestnorwegen.

Aus dem Norwegischen von Inge Wehrmann

Für mehr Information

Stilton Agency: Brit Bildøen und Tre vergar til havet

Books from Norway: Tre veger til havet

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