Die Kettenreaktionen des Begehrens

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Geschrieben von Atle Nielsen , BOK365

Begehren tritt auf, wenn man am wenigsten damit rechnet – und plötzlich lösen zufällige Begegnungen überraschende Kettenreaktionen aus – so in Geir Gulliksens neuem Roman Se på oss nå ("Guck dich uns an").

Geir Gulliksen, Foto: Baard Henriksen

Hauptfigur ist der PR-Mitarbeiter Hans Kaasajordet. Er ist mit Ingunn verheiratet, doch dann lernt er Harriet Aakre kennen. Hans und Harriet können sich auf den ersten Blick nicht ausstehen, doch trotz dieser Abneigung entwickelt sich zwischen den beiden eine Anziehung. Ihre Begegnung hat ungeahnte Konsequenzen: für sie selbst, ihre Ehepartner, ihre Kinder, Kollegen und andere Personen in ihrem Umkreis.

Geir Gulliksen (*1963) debütierte 1986 und hat seitdem Gedichte, Essays, Theaterstücke, Romane und Kinderbücher veröffentlicht. 2014 wurde er mit dem Aschehoug-Preis ausgezeichnet.

Unter seinen jüngsten Publikationen ist unter anderem der Roman Geschichte einer Ehe (erscheint 2019 in Übersetzung von Ursel Allenstein im Luchterhand Verlag, norw. Historie om et ektenskap), der sowohl für den Norwegischen Kritikerpreis als auch für den Literaturpreis des Nordischen Rats nominiert wurde.

Doch Gulliksen ist nicht nur Schriftsteller. Er ist auch in anderen Funktionen im norwegischen Literaturbetrieb tätig. So lektoriert er z.B. für den Oktober Verlag einige der bekanntesten norwegischen Schriftsteller, darunter Karl Ove Knausgård.

Zurzeit arbeitet er wieder an einem eigenen Buch. Mindestens drei Tage die Woche spaziert er zum Lesesaal der Osloer Universität und schreibt. Gerne in Begleitung von August, der im Kinderwagen neben ihm schlummert.

Ist sein jüngster Sohn benannt nach Knut Hamsuns August aus der Landstreicher-Trilogie?

„Strindberg.“ Gulliksen grinst und erzählt, dass gerade auch ein kleines Mädchen unterwegs sei. Fünf Kinder hat er dann insgesamt, von 26 bis 0 Jahre. „Und dann reicht’s auch.“

Aufbruch und Begehren

Wir fragen nicht, wie viel autobiographische Erfahrung in Se på oss nå ("Guck dich uns an", noch nicht auf Deutsch erschienen) steckt, ein Roman, in dem es um Lebensgemeinschaften und Beziehungen geht. Mal wieder. In Gulliksens letztem Roman, Geschichte einer Ehe, wird sich ein Paar, das sich einst geliebt hat, untreu. Auch das neue Buch handelt von Aufbruch und Begehren. Hans und Harriet begegnen und verlieben sich gegen ihren Willen ineinander.

„Als ich 2009 angefangen habe, richtige Romane zu schreiben, habe ich mich für diese Thematik entschieden: Intime Beziehungen. Diesmal habe ich auch Beruf und Arbeitsalltag mit eingebracht. Das Intime sickert nach und nach durch. Mir gefällt es, den Leuten bei der Arbeit zuzuschauen, während des Lesens. Ein gutes Gefühl. Außerdem glaube ich, dass dieses Buch lustiger ist als seine Vorgänger. Sollte das nicht stimmen, ist es mir misslungen, eine Art Komödie zu schreiben“, erzählt Gulliksen.

Worüber die Lesenden lachen sollen?

„Mit gefällt das Lachen am besten, das sich im Hals festsetzt. Wenn das Komische sich ein bisschen unbequem, verstörend und dümmlich anfühlt. Es hat mir großen Spaß gemacht, genau solche Szenen zu schreiben, deswegen hoffe ich, dass es genauso viel Spaß macht, sie zu lesen.“

Ob der Arbeitsalltag eines PR-Mitarbeiters nicht allzu leicht zu karikieren ist?

„In dem Roman gibt es zwei PR-Mitarbeiter. Und mein Ziel war es nicht, einen Beruf zu karikieren, ganz im Gegenteil, ich wollte über zwei Personen schreiben, deren Sicht auf die Arbeit und die Gesellschaft unterschiedlicher nicht sein kann. Ich war auf der Suche nach einer Konstellation, wie man sie von den Kommissaren im Krimi kennt. PR-Mitarbeiter sitzen nicht einfach nur vor dem PC in ihrem Büro, sie bewegen sich frei im Arbeitsalltag der neuen Mittelschicht auf eine Art und Weise, nach der ich gesucht habe.“

Andere Figuren des Romans sind ein Filmverleiher, ein angesehener Politiker und ein Bürokrat. Sie alle haben zentrale Rollen in der Politik und dem gesellschaftlichen Leben, doch was sie antreibt sind ihre Obzessionen, Verliebtheiten und Fantasien.

Gulliksens Verlag, Aschehoug, schreibt zu Se på oss nå: „Dieser Roman ist ein Konzentrat aus starken Gefühlen, Komik und peinlichen Situationen, zusammengeknüpft aus Episoden von Liebesgeschichten. Er erzählt, wie leicht Menschen sich aneinanderbinden, wie leicht man sich in dem anderen verlieren kann, und wie schwer es dann wird, sich wieder zu fangen.“

Frankfurt 2019

Gulliksens Roman Geschichte einer Ehe ist bereits in einigen anderen Sprachen erschienen, in Deutschland wird er im Frühjahr 2019 im Luchterhand Verlag veröffentlicht – pünktlich zum Ehrengast-Auftritt Norwegens auf der Frankfurter Buchmesse.

„Die Veröffentlichung meines Buches auf Deutsch war ohnehin für diesen Zeitraum vorgesehen, für mich persönlich wäre es vielleicht sogar besser gewesen, wenn gleichzeitig keine Messe mit Norwegen als Fokusland stattgefunden hätte. Dort werden viele um Aufmerksamkeit kämpfen. Doch für Norwegen und norwegische Autoren ist diese Ehrengastrolle natürlich eine großartige Sache“, sagt Gulliksen und erzählt, dass Se på oss nå inzwischen auch nach Dänemark und Schweden verkauft wurde.

Doch ausschließlich Schriftsteller sein, kann sich Gulliksen, der in den letzten zehn Jahren er als freier Lektor für den Osloer Verlag Oktober tätig war, nicht vorstellen.

„Das passt mir so ganz gut“, sagt er. „Ich habe ein besonderes Verhältnis zu Oktober, sowohl zu den MitarbeiterInnen als auch zu den AutorInnen. Über die Jahre wurde es immer enger – obwohl es eigentlich nicht so schlau ist, gleichzeitig Lektor und Schriftsteller zu sein. Ich fürchte mich davor, eingeengt zu werden und mich begrenzen zu müssen. Deswegen halte ich mich von der Literaturszene und literarischen Events so gut es geht fern. Es ist großartig, Kinder unterschiedlichen Alters zu haben. Menschen mit Kindern haben einen anderen Bezug zum Leben. Auch zu sich selbst. Es ist gut, Verantwortung für andere zu übernehmen und um jemanden Angst zu haben. Das führt zu Verletzlichkeit, also zu dem genauen Gegenteil davon, irgendwo rumzusitzen und erhaben und langweilig zu sein. Und das wiederum ist gut für die Arbeit.“

Und was liest der Verlagsmitarbeiter, Vater und Schriftsteller privat, wenn er mal Zeit hat?

„Alice Munro. Fast immerzu. Auf Norwegisch und Englisch. Und Philip Roth und Rachel Cusk.“

Krimis?

„Ja, manchmal. Ich suche immer wieder nach einem wirklich guten Krimi, aber die sind schwer zu finden. Der beste Krimiautor, den ich kenne, ist William Shakespeare.“

Für mehr Information

Oslo Literary Agency: Geir Gulliksen

Books from Norway: Se på oss nå

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