Per Petterson im Interview über seinen neuen Roman und die Verfilmung von "Pferde stehlen"

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Geschrieben von Leif Gjerstad, BOK365

Per Petterson brauchte sechs Jahre, um seinen Roman "Männer in meiner Lage" zu Ende zu bringen. Zwischendurch hätte er manchmal den Kopf auf die Tastatur schlagen können und war kurz davor aufzugeben. Die überwältigende Begeisterung, mit der das Buch aufgenommen wurde, war eine große Erleichterung.

Per Petterson. Foto: Baard Henriksen

Nach einer äußerst beschwerlichen literarischen Schwangerschaft erhielt Per Pettersons Roman Männer in meiner Lage zu Hause in Norwegen begeisterte Rezensionen. Mittlerweile ist er auf dem Weg in eine ganze Reihe anderer Länder.Männer in meiner Lage (Übersetzung: Ina Kronenberger) erschien im August 2019 im Carl Hanser Verlag in der Übersetzung von Ina Kronenberger – und im Oktober steuert Petterson die Frankfurter Buchmesse an.

Vom Bucherfolg auf die Leinwand

Anfang des Jahres machte er bereits einen wichtigen Ausflug nach Deutschland, bei dem es um die Verfilmung seines 2008 auf Deutsch erschienenen, sehr erfolgreichen Romans Pferde stehlen (Übersetzung: Ina Kronenberger) ging.

Die bunt schillernde Erzählung über den siebenundsechzigjährigen Trond Sander, der die Erinnerungen an einen mehr als fünfzig Jahre zurückliegenden Sommer wieder aufleben lässt, bescherte Petterson seinen großen Durchbruch in Norwegen und international. Fünfzehn Jahre nachdem der Titel in Norwegen erschien, sollten die Pferde – wie der Autor das Buch immer nennt – ein neues Leben bekommen.

Im letzten Frühjahr wurde der Film auf der Berlinale gezeigt. Regisseur Hans Petter Moland hat die Verfilmung des Romans, mit Stellan Skarsgård, Danica Curcic, Jon Ranes und Tobias Santelmann in zentralen Rollen umgesetzt. Und mit Per Petterson, der als leicht nervöser Zuschauer am Set saß.

„Film und Roman sind zwei vollkommen verschiedene Paar Schuhe, und das akzeptiere ich natürlich. Aber das Medium Film besitzt eine visuelle Kraft, die mich ein bisschen nervös macht. In einem anderen Zusammenhang wurde ich gefragt, ob ich nicht eine Karte von der Umgebung der Pferde zeichnen könnte. Eine Karte? Aber das kann ich doch nicht! Sowas hab ich noch nie gemacht. Ein paar Häuser in dem derzeitigen Bürgermeister in der Gemeinde Rælingen, interviewen lassen. Danach mache ich mich aus dem Staub und verlasse das Land. Ich gehöre zu den nervösen und leicht verletzlichen Typen. Es ist mir zu stressig, auf Rezensionen und Kritiken zu reagieren. Das kriege ich nicht hin und muss einfach weg“, erklärt Petterson.

Glänzende Kritiken

Er hatte ohnehin keinen Grund zur Sorge. Männer in meiner Lage erhielt rundum glänzende Kritiken, und Ende 2018 wurde der Roman in einer Auflage von 39.000 Exemplaren gedruckt und in siebzehn Länder verkauft. Zusätzlich landete er auf der Jahresbestenliste vieler Zeitungen, gleichzeitig wurde er unter anderem für den P2- Hörer-Romanpreis und den Jugend-Kritikerpreis nominiert.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals so viel Wirbel bei Erscheinen meiner Bücher gegeben hätte. Die Reaktionen waren ziemlich überwältigend. Und das war eine ungeheure Erleichterung, denn es war eine Schinderei, dieses Buch zu schreiben. Ich brauchte dafür sechs Jahre, und zwischendurch hätte ich manchmal den Kopf auf die Tastatur schlagen können und stand mehrmals kurz davor aufzugeben“, berichtet der Autor und erklärt, warum es so war.

„Ich hatte einen Denkfehler und lange nicht begriffen, welche Art von Buch ich schrieb. Ich war mit dem ersten Kapitel zufrieden und schrieb schon früh einige der Frauenszenen. Die Geschichte ging in eine bestimmte Richtung, aber dann wurde mir klar, ‚nein, das ist es nicht‘. Es hatte etwas mit den Kindern der Hauptfigur Arvid Jansen zu tun.“

Schrieb in Panik

Nach Pettersons Aussage, wollte sein Unterbewusstsein ganz einfach woanders hin als er.

„Ich schreibe am liebsten einzelne Szenen, und in diesen Szenen und deren Dialogen entstehen die wichtigen Dinge. Und die lassen sich nicht kürzen. Du musst in der Szene bleiben, bis sie fertig ist, aber diesmal brauchte ich schrecklich lange, um dorthin zu kommen.“ Und bevor er dorthin gelangte, geriet er in Panik.

„Ich bin sechsundsechzig Jahre alt, und Schreiben ist das Einzige, was ich kann. Und wenn ich das nicht einmal mehr hinkriege, was bleibt mir dann noch?“, fragt Petterson.

Viele werden vielleicht denken, dass ein so routinierter Autor wie er, den Schreibprozess so gut kennen müsste, dass solche Probleme mit den Jahren seltener und kleiner werden. Darüber kann Petterson nur den Kopf schütteln.

„Routine zu haben, hilft dir nicht weiter. Es wird dadurch nicht einfacher. Aber man hat vielleicht nicht mehr ganz so viel Angst zu versagen. In erster Linie dreht es sich wohl darum, dass du eine Art Verpflichtung den Lesern gegenüber fühlst. Du musst wahrhaftig sein und die Handlungsstränge weiterführen, die du entwickelt hast. Aber es wäre ja auch traurig, wenn ich das Gefühl hätte, meine Leser enttäuscht zu haben.“

Ein spätes Debüt

Vor seinem relativ späten Debüt als Autor im Jahre 1987 war Petterson in Oslos literarischen Kreisen bereits gut etabliert. Mit seiner extrem linken politischen Einstellung arbeitete er zunächst in der Buchhandlung Tronsmo und war zuständig für ausländische Literatur. Zu seinem Freundeskreis zählten bekannte radikale Autoren wie Dag Solstad, Espen Haavardsholm und Edvard Hoem.

„Ich träumte schon damals davon, Schriftsteller zu werden, hatte aber noch nicht genug Selbstvertrauen. Doch im Nachhinein bin ich froh, dass ich als Fünfunddreißigjähriger verhältnismäßig spät mit dem Schreiben begonnen habe. Obwohl ich politisch auf derselben Wellenlänge war, hätte ich nicht die Art von sozialrealistischen Büchern schreiben können, von denen die 1970er-Jahre geprägt waren. Da war kein Platz für mich und die Art von Literatur, die ich damals schrieb. Erst nach Ende der 1970er-Jahre tat sich für mich eine Nische auf.“

Aus dieser Nische hat sich Per Petterson hochgearbeitet und sich als einer der beliebtesten und anerkanntesten norwegischen Autoren etabliert. Das hält einige Leser jedoch nicht davon ab, ihre Enttäuschung über die Romanfigur Arvid Jansen in Männer in meiner Lage kundzutun. Er erscheint wie ein verzweifelter, im freien Fall befindlicher Mann, dem es an jeglicher Reife fehlt.

„Arvid schenkt seinem Leben nicht genug Aufmerksamkeit und steckt in einer Dauerkrise. Aber er ist nicht erwachsen genug, um das einzusehen“, erläutert der Autor und demonstriert dies an Arvids schwierigem Verhältnis zu Frauen.

„Frauen gegenüber ist er sowohl zurückhaltend als auch draufgängerisch. Aber was ihn prägt, ist seine Angst sich zu binden, und die Unfähigkeit, seine Gefühle in Worte zu fassen. Wie vielen anderen Männern fällt Arvid das Reden schwer, und um nicht das Gesicht zu verlieren, hält er lieber den Mund. Dadurch wird auch das Verhältnis zu seinen Töchtern beeinflusst. Obwohl er sie liebt, wird er seinen Aufgaben als Vater nicht gerecht. Dazu ist er zu sehr mit sich selbst beschäftigt.“

Bekannte Charakterzüge

Arvid Jansen ist kein neuer Charakter in Per Pettersons literarischem Universum. Wir sind ihm schon in einigen seiner früheren Bücher begegnet, zuletzt vor zehn Jahren in seinem preisgekrönten Roman Ich verfluche den Fluss der Zeit. Arvid Jansen wurde zu Per Pettersons Alter-Ego, doch in Zeiten der Wirklichkeitsliteratur schuf er für Petterson auch einige Probleme. Jansen ist nämlich neben all seinen anderen Eigenschaften ein Schriftsteller aus Veitvet mit revolutionärem Hintergrund, der eine Scheidung hinter sich hat und enge Familienangehörige bei einem Schiffsbrand verlor. Genau wie Petterson.

„Ein großer Teil der biografischen Eckdaten in meinen Büchern über Arvid Jansen stammt aus meinem Leben. Wurzeln sind wertvoll für mich und stellen für mein Schreiben einen wichtigen Anker dar. Aber alles andere hat sehr wenig mit mir zu tun, es ist Fiktion.“

Verankerung schenkt Freiheit

„Finden Sie es problematisch, dass einige Leser Sie in Ihre Romane hineininterpretieren?“

„Nein, das ist mir vollkommen egal. Indem ich einige äußerliche Fakten in meinem bekannten Umfeld verankere, fühle ich mich beim Schreibprozess viel freier. Das verschafft mir größere Möglichkeiten, etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen, ohne dass die Wahrhaftigkeit der Geschichte dabei verloren geht“, erwidert der Autor, der glaubt, dass er nicht selbst entscheidet, ob er ein Buch mit oder ohne Arvid schreibt. Diese Entscheidung werde von der Geschichte getroffen.

„Als ich die Anfangsszene für meinen vorigen Roman Nicht mit mir (Übersetzung:

Ina Kronenberger) schrieb, wurde mir schnell klar, dass die Hauptfigur Tommy einem Typen ähnelte, den ich kannte, und der war ganz anders als Arvid Jansen, weshalb Arvid diesmal nicht die Hauptfigur sein konnte. Seine Exfrau an einem stillgelegten Bahnhof

abzuholen, wie wir es im ersten Kapitel von Männer in meiner Lage miterleben, ist dagegen typisch für Arvid. Das weiß ich, weil ich ihn mittlerweile gut genug kenne“, erklärt Petterson, der Arvid Jensen diesmal zusammen mit seiner Exfrau Turid und den drei gemeinsamen Töchtern im Haus seiner ehemaligen Schwiegermutter Weihnachten feiern lässt.

Das läuft nicht besonders gut, und Arvid landet nicht nur in einer Bar, sondern auch in einer Schlägerei mit anderen Betrunkenen, bevor sich der Weihnachtsfrieden über den blutroten Schnee herabsenkt.

„Arvids Weihnachtsfest wird so wie es kommen musste, und ich hatte viel Spaß, als ich den Dialog in der Bar geschrieben habe. Aber zum Glück habe ich selbst noch nie so ein Weihnachtsfest erlebt. Ganz im Gegenteil: Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu Weihnachten“, betont Per Petterson enthusiastisch.

Das Auto als Zufluchtsort

Er hat auch ein gutes Verhältnis zum Auto. „Vor allem abends oder nachts, wenn es dunkel und still ist, finde ich es sehr beruhigend, hinterm Steuer zu sitzen. Doch auch wenn ich gern Auto fahre, ist das Autofahren in meinen Büchern viel wichtiger als in meinem Leben“, stellt Per Petterson klar.

„Arvid braucht das Auto jedoch nicht so sehr als Fluchtmittel sondern eher als Zufluchtsort“, erläutert Petterson und weist darauf hin, dass Arvid in der Zeit, als seine Ehe den Bach runtergeht, oft Luftmatratze und Decke mitnimmt, um im Auto zu schlafen.

„Das Auto wird zur Zufluchtsstätte, wenn der Druck seiner Ehe zu groß für ihn wird“, erklärt Petterson, der sich auf dem abgelegenen kleinen Bauernhof Porten, wo er seit fünfundzwanzig Jahren mit seiner Frau lebt, seine eigene Zufluchtsstätte geschaffen hat.

Damals war das Haupthaus heruntergekommen und zugig. Es gab nur eine Außentoilette und kein warmes Wasser. Doch mittlerweile hat er renoviert und angebaut, mit Wohnzimmer und Wintergarten und einem Schreibhäuschen, etwa hundert Meter vom Haus entfernt. Dorthin geht er jeden Morgen in aller Frühe, um zu arbeiten, und hier empfängt er Journalisten, wenn er, was sehr selten geschieht, Presseleute auf seinen kleinen Hof einlädt. Das Haupthaus bleibt dann immer verbotene Zone.

„Im Schreibhäuschen arbeite ich, also ist es doch ganz natürlich, wenn ich Journalisten dort empfange. Im Haupthaus wohne ich, und da haben sie nichts zu suchen. Es sei denn, ich machte eine ‚home story‘. Was ich aber nicht vorhabe.“

Aus dem Norwegischen von Inge Wehrmann

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