Norwegische Volksmärchen

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Geschrieben von Åse Birkenheier

Die norwegischen Volksmärchen darf man getrost als einen Klassiker des europäischen Volks- und Märchenschatzes bezeichnen, zumal Jakob Grimm persönlich nach deren Erscheinen erklärte, sie seien beinahe vorbehaltlos über allen anderen Märchensammlungen einzustufen.

Verantwortlich für das Zusammentragen der norwegischen Märchen waren zwei Freunde, die jahrelang durch Norwegen gewandert waren, um die Märchen zusammenzutragen, sie aufzuschreiben und in die endgültige sprachliche Form zu bringen: Der Biologe und Forstwirt Peter Christen Asbjørnsen (1812 – 1885) und der Theologe und späterer Bischof Jørgen Moe (1813 – 1882). Ihre Vorbilder waren die Brüder Grimm, die in ihren Briefen die beiden jungen Märchensammler aus dem Norden immer wieder dazu ermutigten, nicht aufzugeben und ihr Vorhaben bis zum Ende durchzuführen.

Die erste komplette Sammlung von gut 150 Märchen erschien 1851 (Postdatiert auf 1852). Durch diese Sammlung trugen die beiden Freunde maßgeblich zur Bildung einer besonderen norwegischen Identität innerhalb eines gesamteuropäischen Rahmens bei.

Das Besondere an der Wiedergabe der Märchen besteht darin, dass Asbjørnsen und Moe sie weder als Rohstoff für neue, eigene Texte nutzten, noch als trockene, seelenlose Referate wiedergaben. Die Märchen bringen viele Eigenheiten und Erfahrungen norwegischer Menschen zum Ausdruck, und wurden in einer Form weitergegeben, die an den nationalen Saiten der NorwegerInnen rührte. Zudem erwiesen sich die Märchen als dankbarer Stoff für Maler und Illustratoren. Sowohl den Erzählern als auch den Illustratoren ist es auf besondere Weise gelungen, die Stimmungen der norwegischen Natur in Wäldern und auf nächtlichen Almwiesen zu vermitteln.

Neben allgemein bekannten Märchenfiguren, die man in vielen Ländern wiederfindet, gibt es in den norwegischen Volksmärchen besondere, typisch norwegische Figuren. Auf zwei sei hier eingegangen: Espen Askeladd und die Trolle.

Espen Askeladd, kurz Askeladden genannt, in meiner Übersetzung Espen Aschenbengel, ist in vielen Märchen eine beliebte Hauptfigur, ein sympathischer Nichtsnutz, der Glück und Schicksal auf seiner Seite hat. Er ist eine Gestalt mit verborgenen Kräften, anscheinend dumm und träge wartet er ab, bis seine Zeit gekommen ist. Meistens ist er der jüngste von drei Brüdern, immer derjenige, auf den alle verächtlich herabschauen. Der junge Mann hat es aber faustdick hinter den Ohren und durch Listenreichtum und Bauernschläue gewinnt er schließlich nicht nur die Prinzessin, sondern auch das halbe Königreich, überlistet die einfältigen Trolle und zieht mit deren Schätzen an Gold und Silber davon.

Die vielleicht bekanntesten Zauberwesen der nordischen Mythologie sind die Trolle, unheimliche und oft grausame Ungeheuer, die über Zauberkräfte verfügen. Diese Trolle stammen aus dem Volksglauben, sind Naturerscheinungen mit unterschiedlichem Aussehen: Manchmal riesig, manchmal nicht größer als ein Mensch, mit einem, drei oder gar neun Köpfen. Sie leben im Berg, sind aber oft außerhalb unterwegs, auf ihren Streifzügen durch die Wälder Norwegens. Wenn aber die Sonne aufgeht, bevor sie wieder in den Berg entkommen können, platzen sie und werden zu Stein. Sie leben nicht in der Gesellschaft der Menschen, suchen aber immer wieder Kontakt zu ihnen. Da es ihnen nach Christenblut gelüstet und sie für alles Unerklärliche verantwortlich gemacht werden können, besteht meistens die Neigung, sie als den Menschen feindlich gesinnt aufzufassen.

Peter Christen Asbjørnsen (links) und Jørgen Moe (rechts).

Obwohl ein Troll nach altem Glauben sowohl gut und freundlich als auch böse und hinterhältig sein kann, hat er in den Märchen einen grundsätzlich schädigenden Charakter. Schon seit dem Mittelalter war den Norwegern der Gegensatz Troll vs. Christ so in Fleisch und Blut übergegangen, dass Asbjørnsen und Moe nur wenig hinzufügen mussten, um das bis heute verbreitete Bild der Trolle zu prägen.

Für den ersten Band meiner Neuübersetzung norwegischer Volksmärchen Mit Espen Aschenbengel im Land der Trolle, 2013 im Verlag Edition Hamouda erschienen, wurden 30 Märchen ausgesucht, die meiner Meinung nach einen repräsentativen Querschnitt durch das Werk von Asbjørnsen und Moe darstellen. Im zweiten Band Mit Espen Aschenbengel zu neuen Abenteuern im Land der Trolle (auch Verlag Edition Hamouda), das 24 Märchen beinhaltet und zur Leipziger Buchmesse 2019 ersch, gibt es drei inhaltliche Schwerpunkte:

  • Hahn und Huhn, Bär und Fuchs, Schaf und Schwein - Lustiges und Nachdenkliches aus der Tierwelt der norwegischen Volksmärchen
  • Prinzessinnen und Weiber – starke und ungewöhnliche Frauen im Land der Trolle
  • Trolle und Zauberei – unterwegs mit Espen Aschenbengel

Viel Spaß beim Lesen dieses einzigartigen norwegischen Märchenschatzes!

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