Norwegian Wood und Stabkirchen

Nachrichten
Feature
Geschrieben von Atle Nielsen , BOK365

Lars Mytting schenkte der Welt vor ein paar Jahren "Der Mann und das Holz". Jetzt beschert er uns einen neuen Roman, inspiriert von einer alten Sage aus dem Gudbrandsdal über zwei zusammengewachsene Schwestern, die unglaublich gut weben konnten.

Lars Mytting, Foto: Vebjørn Rogne

Die Sage erzählt, dass der Vater nach dem Tod der beiden Schwestern in ihrem Gedenken zwei Kirchenglocken goss und sie der Pfarrkirche schenkte. In seiner Trauer soll er dem Guss Silberbesteck und Silbermünzen hinzugefügt haben. So entstanden die klangvollen Schwesterglocken der Butangen-Kirche.

Einige Generationen später will der neue Pfarrer der Gemeinde die alte, zugige Kirche abreißen und eine neue bauen lassen – gegen den Protest einiger Bürger.

In der deutschen Kulturstadt Dresden bekommt man mit, dass die nordischen Barbaren ihr nationales Erbe, die Stabkirchen, niederreißen wollen. Was, wenn man die ursprüngliche Kirche in Deutschland, wohlmöglich in Dresden, wiederaufbauen könnte?

Kulturelle Freundschaftsbande

Lars Mytting empfängt uns in seinem Haus in Elverum, nicht weit entfernt vom ostnorwegischen Gudbrandsdal, wo die Handlung einiger seiner Romane spielt. In Die Glocke im See (übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel, erschienen im Insel Verlag, norw. Søsterklokkene) spielt ein Großteil der Handlung im Gudbrandsdal, mit einigen Abstechern nach Dresden und Christiania (Oslo). Und aus dem Gudbrandsdal stammt auch die Sage von den Schwesterglocken.

„Die Sage über die Glocken hat einen wahren Hintergrund“, erklärt Mytting. „Aber sie ist nie in der Form erzählt worden, wie ich es jetzt gemacht habe. Darüber hinaus habe ich sie verknüpft mit einer anderen Sage über einige Webermeister“, erzählt er.

Mytting entfaltet in seinem Buch, das in Norwegen hervorragende Kritiken bekam, ein breites Panorama. Er habe so viel Material gefunden, dass er plant, „mindestens eine Fortsetzung“ zu schreiben. Allein die internationalen Verbindungen dieser Zeit bieten in seinen Augen einen spannenden Romanstoff. „Dass die Deutschen großes Interesse am norwegischen Kulturerbe hatten, ist belegt. Man darf nicht vergessen, dass es vor den Kriegen des letzten Jahrhunderts eine starke freundschaftliche Verbindung zwischen Norwegen und Deutschland gab, was sich nach dem zweiten Weltkrieg änderte. Es ist schön, darüber schreiben zu können“, sagt der Autor.

Doch über das Schicksal der Menschen und Glocken in seinen Büchern will Mytting nichts erzählen. Er verrät nur, dass eine alte Prophezeiung in der Sage sehr machtvoll ist und dass es mehr als eine Generation braucht, bis sie in Erfüllung geht. Viele Figuren aus dem ersten Band werden sicher im zweiten Buch weiterleben, deutet er an.

Sachprosa als Fiktion

Mit vierunddreißig gab Lars Mytting 2007 seinen Debütroman Fyksens Tankstelle (übersetzt von Günther Frauenlob für den Piper Verlag, norw. Hestekrefter) heraus. Darin lernen wir Erik Fyksen kennen, den Besitzer von Norwegens letzter Mobil-Tankstelle. Modernisierungspläne und eine Straßenverlegung führen für ihn in einen einsamen Kampf gegen urbane Zwänge und Gespenster aus seiner Vergangenheit.

Dank des Erfolgs seines Erstlingswerks konnte sich Lars Mytting von da an ganz aufs literarische Schreiben konzentrieren. Er nimmt sich viel Zeit für seine Bücher, recherchiert gründlich, schreibt jeden Tag, streicht ein bisschen, schreibt aufs Neue. „Wenn ich am Montag mit einer Sequenz beginne, kann es gut sein, dass erst am Mittwochmittag etwas Gutes daraus wird“, sagt der Autor lächelnd.

Seit seinem Debüt hat er vier Romane herausgegeben sowie den immens erfolgreichen Sachbuchtitel Der Mann und das Holz (in deutscher Übsersetzung von Günther Frauenlob und Frank Zuber im Insel Verlag erschienen, norw. Hel ved) der weltweit über eine halbe Millionen mal verkauft wurde und unter anderem mit dem britischen Buchhändlerpreis als bestes Sachbuch des Jahres ausgezeichnet wurde.

Er glaubt, dass sein Buch über das Holzhacken, Holzstapeln und alles, was mit Holz zu tun hat, so erfolgreich war, weil es an Unterhaltungsliteratur grenzt. „Viele haben es als Fiktion gelesen. Gute Sachprosa kann auf diese Weise gelesen werden, weil der Titel die Phantasie anregt, Lust macht, etwas anzupacken, etwas Praktisches zu tun. Und ich glaube, er kam im Ausland so gut an, weil der hohe Norden für viele LeserInnen ein romantischer Ort ist. Das Buch wird als praktischer Ratgeber und als Traumbuch gelesen. Vielleicht stellen sich südeuropäische LeserInnen vor, in einem norwegischen Winter zurechtkommen müssen, so wie wir uns in jüngeren Jahren von Helge Ingstads und Morgan Kanes Büchern inspirieren ließen, von Amerika zu träumen. Während ich das Buch schrieb, war mir das nicht klar, aber vielleicht wurde es so erfolgreich, weil die Vorstellung, Holz und Feuer zu haben, LeserInnen aus allen Teilen der Welt ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Die Hoffnung, den Winter zu überleben, ist ein tief verwurzelter, menschlicher Urinstinkt.“

Er begann als Journalist

Bevor Mytting Schriftsteller wurde, arbeitete er als Journalist, sowohl für Lokalzeitungen als auch für Beat, die größte norwegische Musikzeitschrift. Nach dem Ende seiner Militärzeit unternahm er erste Versuche, literarisch zu schreiben, die nicht besonders erfolgreich waren. Erst 2006 bekam er den Dreh und schrieb Fyksens Tankstelle. Danach dauerte es vier Jahre, bis er seinen nächsten Roman, Vårofferet ("Frühlingsopfer", noch nicht auf Deutsch erschienen) veröffentlichte, und vier weitere Jahre bis zu seinem Erfolgstitel Die Birken wissen’s noch (erschienen in der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel im Insel Verlag, norw. Svøm med dem som drukner).

Auch in Die Birken wissen’s noch reisen wir ins Gudbrandsdal, aber der Hintergrund der Handlung findet während des ersten Weltkriegs in Frankreich statt. Dort stehen ein paar Walnussbäume … und dort stirbt viele Jahre später ein norwegisches Liebespaar. Und von dort verschwindet dessen kleiner Sohn, um an einem ganz anderen Ort wiederaufzutauchen.

Wir sind auf den Shetlandinseln und in Frankreich und an vielen anderen Orten, doch die verschiedenen Handlungsstränge werden zu einer Geschichte verflochten, die durchaus glaubhaft erscheint, zumindest in einem Roman. Auch dieses Buch wurde von den meisten Kritikern begeistert aufgenommen.

Mytting lächelt. „Einige Leute meinten wohl, die Geschichte wäre zu unwahrscheinlich, aber ich glaube, ich bin auch mit diesem Buch ganz gut davongekommen. Die ersten Ideen waren weitaus kleiner und schlichter als das fertige Buch. Die Kriegsgeschichte kommt richtig zum Tragen, als die Hauptfigur die Shetlandinseln besucht. Da eröffnet sich ein breites Spektrum, das sich am Ende zusammenfügt. Und zwischendurch gab es Raum für viele andere Dinge, die mich faszinieren“, sagt der Autor.

Dreiecksgeschichte

In seinem neuen Roman Die Glocke im See geht es um die junge Astrid Hekne, die viele Generationen später auf demselben Hof aufwächst wie die zusammengewachsenen Schwestern. Astrid fürchtet, dass die klangvollen Schwesterglocken nach Dresden gebracht werden, was sie unbedingt verhindern will. Es entwickelt sich eine Dreiecksgeschichte, als sich der Pfarrer und ein deutscher Architektur- und Kunststudent in das hübsche, kluge Mädchen aus dem Tal verlieben.

Die Handlung beginnt übrigens damit, dass die alte Klara Mytting 1880 während des endlosen Neujahrsgottesdienstes erfriert.

„Sie ist keine reale Person“, sagt Lars Mytting. „Aber ich verwende in meinen Büchern gern lokale Hofnamen, und die arme Klara ist so verschroben und hat so ein schweres Leben, dass ich anstandshalber beschlossen habe, ihr meinen eigenen Namen zu geben. Zuerst erfriert sie während des Gottesdienstes und dann kann man sie wegen des hartgefrorenen Erdreichs nicht begraben. Und in Zeiten dessen, was wir Norweger ‚Wirklichkeitsliteratur’ nennen, fand ich es ganz lustig, meinen eigenen Namen irgendwo unterzubringen“, sagt der Autor schmunzelnd. „Ein bisschen Realität steckt auch dahinter, denn ich kam auf die Idee, weil meine Großmutter mir ständig von jenen eiskalten, nie enden wollenden Neujahrsgottesdiensten erzählt hat …“

„Wir warten alle gespannt auf die Fortsetzung. Wann wird sie erscheinen?“

„Wenn sie fertig ist“, antwortet Lars Mytting und lächelt.

Søsterklokkene, Die Glocke im See wird in zehn Sprachen übersetzt. Die deutsche Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel erschien am 14. Januar 2019 im Insel Verlag.

Aus dem Norwegischen von Inge Wehrmann

Für mehr Informationen

Agentur Literatur: Lars Mytting

Books from Norway: Lars Mytting

BelletristikAutoren