Norwegen, hört man immer wieder, sei das Land der Trolle. Besonders in der norwegischen Kunst und Literatur spielen Trolle eine große Rolle. Aber wer – oder was – ist eigentlich ein Troll?
Ein Troll ist ein übernatürliches Wesen, das in unzugänglicher Natur lebt, meist in Höhlen oder tief im Wald versteckt. Er hat eine menschenähnliche Gestalt, einen oder mehrere Schwänze, einen ausgesprochen grobschlächtigen Körperbau und kann tausend Jahre alt werden. Er ist, wie ein norwegischer Journalist schrieb, „schwerfällig, dunkel und überwuchert. Er ist ein großer, gehender Wald und Berg.“ Trolle entstammen der nordischen Sagenwelt. So taucht bereits in der Liedersammlung Edda ein vielköpfiger Troll auf.
Ob Waldtroll, Bergtroll oder Wassertroll – Naturgeister waren so stark im Volksglauben verankert, dass sie die Christianisierung mühelos überstanden. Dabei sind sie keine guten, sondern böse Geister, die den Menschen schaden wollen oder gar nach dem Leben trachten. Die norwegischen Volksmärchen schildern sie als tumbe Riesen, die leicht auszutricksen sind. Nicht nur darin ähneln sie den polternden Ungeheuern, die wir aus den Grimmschen Märchen kennen. Im einen wie im anderen Fall ist es meist der jüngste von drei Brüdern, der in die Welt hinauszieht und den Riesen listig übertölpelt. Oft genügt es, ihn mit einem Trick in die Sonne zu locken – Im Sonnenlicht werden Trolle nämlich augenblicklich zu Stein.
So sind denn der Legende nach viele Berge erstarrte Trolle. Vieles in der norwegischen Natur trägt „troll“ sogar im Namen. Eine mittelnorwegische Gebirgskette heißt Trollheimen („die Heimat der Trolle“); ein zehn Meter langer, dünner Felsvorsprung unweit von Odda Trolltunga („die Trollzunge“).
Keinesfalls sollte man die bösartigen Wesen, die weitab jeder menschlichen Besiedlung leben, mit Nissen verwechseln. Nissen sind Wichtel, klein und freundlich, sie leben in der Nähe von Bauernhöfen, die sie auch beschützen. Eine Aufgabenteilung in Haus-, Stall-, Garten- und Hofnisse ist nicht ungewöhnlich, eine Sonderform ist der Julenisse, der Weihnachtsnisse. Nissen haben einen langen Bart und tragen eine rote Zipfelmütze, Weste und Kniebundhosen, eine Uniform, die sie als nahe Verwandte unserer Gartenzwerge ausweist.
Zurück zu den Trollen. Die heutige Vorstellung davon, wie Trolle aussehen – eine Vorstellung, die zuvor der Phantasie und den Albträumen des Einzelnen überlassen war – stammt aus dem Werk des norwegischen Malers Theodor Kittelsen. Er illustrierte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die norwegischen Volksmärchen, die die Sammler Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe nach dem Vorbild der Grimm-Brüder sammelten und herausgaben. Seither sind Trolle hässliche Riesen, alt, bucklig, mit großen Nasen, zerzauster Mähne, langen Armen.
In der norwegischen Kunst und Literatur spielen Trolle eine große Rolle. Der außerhalb Norwegens bekannteste Troll tritt in Henrik Ibsens dramatischem Gedicht Peer Gynt (1867) auf. Edvard Griegs Musik zu Ibsens Text enthält das Orchesterstück „In der Halle des Bergkönigs“. Im Original heißt es „I Dovregubbens hall“. Dieser Dovregubb lebt im Dovrefjell, ist der König der Trolle und der Mächtigste unter ihnen. Griegs Haus in der Nähe der Hafenstadt Bergen heißt übrigens Troldhaugen – der „Trollhügel“.
Die bösen Gesellen der norwegischen Sagen sind schon lange gezähmt, sie machen keinem mehr Angst. Heute sind sie fester Bestandteil des nationalen Kulturgutes und so eng mit der norwegischen Identität verbunden, dass im 20. und 21. Jahrhundert sogar große Bauprojekte nach ihnen benannt werden können. 1936 wurde im Distrikt Møre og Romsdal eine waghalsige Serpentinenstraße eröffnet, sie heißt Trollstigen („Trollleiter“, siehe Foto weiter oben). 1979 wurde in der Nordsee ein gewaltiges Erdgasfeld gefunden, es bekam den Namen „Troll-Feld“. Zehn Jahre später gründete Norwegen in der Antarktis die Forschungsstation „Troll“, die sie umgebenden Berge heißen Trollvekja, Trollguten und Trolltinden – so kann kein Zweifel aufkommen, wem dieses Stück Land gehört.
Der weltweit größte (sichtbare) Troll stand, so jedenfalls meint es das Guinness-Buch der Rekorde, auf der nordnorwegischen Insel Senja (im März 2019 durch einen Brandt zerstört) war achtzehn Meter groß, die Troll-Frau neben ihm brachte es immerhin auf vierzehn Meter, umgeben sind sie von sechs Kindern und jede Menge Troll-Volk. Im Inneren des Riesen aus Zement und Polyester konnten Besucher auf zwei Stockwerke in Höhlen, Nischen und Winkeln Szenen aus Troll-Geschichten bestaunen.