„Alle, die schreiben, wissen, dass man zwischendurch auch Krisen durchmacht. Und die kündigen sich vor allem dann an, wenn man das Gefühl hat, eine Sache, der man gerade auf die Spur gekommen ist, wieder aus den Augen zu verlieren. In solchen Momenten ist man als Autor ganz auf sich gestellt und muss allein einen Ausweg finden», sagt Johan Harstad.
Gut drei Jahre, nachdem der Roman Max, Mischa und die Tet-Offensive (norw. Max, Mischa & Tetoffensiven) Norwegen erobert hat, führt Johan Harstad seinen Feldzug auf neuen Märkten fort. Am 26. März ist Deutschland an der Reihe, und zur Präsentation von Max, Mischa und die Tet-Offensive (aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein) schlägt der Rowohlt Verlag alles andere als leise Töne an.
Johan Harstads 1248 Seiten dickes Buch ist dieses Frühjahr der Spitzentitel des Verlags. Aus diesem Anlass wurde ein Promo-Paket mit Auszügen aus der deutschen Übersetzung, einem Interview mit dem Autor und T-Shirts mit Cover-Motiven zusammengestellt und an 3000 Buchhändler und Pressemitarbeiter geschickt. Außerdem wird der 40-jährige Harstad eine Lesereise nach Berlin machen und in der Zeit um den offiziellen Erscheinungstermin als Hauptgast auf der Leipziger Buchmesse und der lit.Cologne vertreten sein. Im Herbst steht dann Frankfurt auf dem Plan.
Eine beruhigende Energie
„Die Spitzenposition im Verlagsprogramm ist ein Ausdruck von Enthusiasmus, und der Kontakt mit Rowohlt war von Anfang an sehr positiv. Alle dort sind einfach fantastisch und ich bin froh, in so guten Händen gelandet zu sein. Das ganze Drumherum empfinde ich allerdings als eher schwierig. Ich habe nie mit Blick auf Verkaufszahlen geschrieben und die Schriftstellerei ist für mich kein Beliebtheitswettbewerb“, lautet Harstads vorsichtiger Kommentar zu der immensen Aufmerksamkeit in Deutschland.
In der Vergangenheit hatte Johan Harstad nicht allzu viel mit Deutschland zu tun. Sein 2005 erschienener Debütroman Buzz Aldrin, wo warst du in all dem Durcheinander (norw. Buzz Aldrin, hvor ble det av deg i alt mylderet?) ist bisher sein einziger Titel, der auch ins Deutsche übersetzt wurde (Piper 2006, aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger). Das ändert sich nun aber mit dem Roman Max, Mischa und die Tet-Offensive, der vor der Deutschland-Offensive bereits in sämtlichen anderen Ländern, in denen er veröffentlicht wurde, Preise und glänzende Besprechungen erhalten hat.
„Anerkennung ist etwas Tolles und bringt eine beruhigende Energie mit sich“, sagt Harstad und bestätigt, dass er zu den Autoren gehört, die gern Rezensionen eigener Werke lesen.
„Aber ich bitte den Verlag immer, mich vor den schlechtesten zu bewahren“, sagt Harstad lachend und fügt hinzu, dass er „von guten Rezensenten durchaus Kritik einstecken kann“.
„Ob ich ihre Meinung teile oder nicht, ist dabei nicht so wichtig. Wenn die Kritik fundiert ist, respektiere ich sie und oft kann es auch interessant und lehrreich sein, negative Kritiken zu lesen.“
Epische Breite
Als Max, Mischa und die Tet-Offensive 2015 in Norwegen erschien, sorgte die breit angelegte Erzählung, die sich über zwei Kontinente und mehrere Jahrzehnte erstreckt, für allerlei Verwunderung und Staunen. Harstad gibt selbst zu, dass ihn die epische Breite letztlich ein wenig verwundert hat.
„Als ich anfing zu schreiben, schwebte mir überhaupt nichts Umfangreiches vor. Ursprünglich ging es mir nur um die plötzliche Erkenntnis, dass ich als gebürtiger Stavanger-Junge inzwischen mein halbes Leben irgendwo anders als in meiner Heimatstadt verbracht hatte. Meinen Umzug nach Oslo hatte ich mir damals als vorübergehenden Standortwechsel vorgestellt, bis es eines Tages wieder zurück nach Stavanger gehen würde. Aber mit der Zeit wurde mir klar, wie lange ich schon in Oslo lebte und dass eine Heimkehr vielleicht eher unwahrscheinlich war. Und was war eigentlich „Heimat“ für mich?“
Aus Überlegungen wie diesen entsprang die Idee, ein Buch über jemanden zu schreiben, der seine Heimat hinter sich gelassen hat und nun nicht mehr zurückkehren kann, so gern er auch möchte.
„Da konnte ich Max auch gleich von Stavanger in die USA ziehen lassen. Damit war der geografische Abstand etabliert, und außerdem dachte ich, die amerikanische Gesellschaft so gut zu kennen, dass sich ein solcher Standortwechsel reibungslos umsetzen ließe. Aber da hatte ich mich natürlich geirrt. Als ich mich ans Schreiben machte, wurde mir klar, wie wenig ich über Max’ neues Leben in den USA wusste und dass viel mehr Recherchen notwendig waren als zunächst angenommen“, erklärt Harstad und fügt hinzu:
„Das alles hat den Rahmen nach und nach erweitert, und während eine Idee zur nächsten führte, wurde das Buch immer umfassender. So ist aus Max, Mischa und die Tet-Offensive mehr als nur ein einfacher Coming- of-Age-Roman zum Thema Heimatlosigkeit geworden. Kunst, Musik und der Vietnamkrieg haben sich ebenfalls als natürliche Bestandteile der Handlung eingeschlichen.“
Sieben Jahre
Während immer mehr Elemente hinzukamen, verging die Zeit. Insgesamt sieben Jahre hat Johan Harstad an seinem Roman gearbeitet, so richtig aber „nur“ die letzten drei, wie er betont.
„Die ersten vier Jahre habe ich eigentlich nur so vor mich hin gerödelt, ohne zu wissen, wo es eigentlich langgehen sollte. Einige meiner Bücher waren quasi halb fertig, als ich mit dem Schreiben anfing. Aber in diesem Fall musste ich erst mal 500 Seiten schreiben, bis ich das Gefühl hatte, auf dem richtigen Weg zu sein“, erzählt Johan Harstad.
Den „richtigen Weg“gefunden zu haben, bedeute aber nicht unbedingt, dass man als Autor sämtliche Schwierigkeiten hinter sich habe, wie er sagt.
„Alle, die schreiben, wissen, dass man zwischendurch auch Krisen durchmacht. Und die kündigen sich vor allem dann an, wenn man das Gefühl hat, eine Sache, der man gerade auf die Spur gekommen ist, wieder aus den Augen zu verlieren. Das ist ein furchtbares Gefühl“, erklärt Harstad, der dennoch nicht als „leidender Künstler“ dastehen will.
„Ich glaube, egal, womit man arbeitet, erlebt man immer wieder auch Krisen im Beruf. Aber während die meisten anderen sich Hilfe bei Kollegen holen können, ist man als Autor ganz auf sich gestellt. Bei einer Schreibkrise kann dir niemand helfen. Da musst du allein einen Ausweg finden.“
Missglückt und unlesbar
Harstad zufolge geht es aber nach jeder Krise auch wieder aufwärts. Auf den Marathon mit Max und Mischa folgte für ihn zudem ein vollkommen andersartiges Buch.
Vergangenen Winter brachte erden Roman Der Pfirsisch (norw. Ferskenen) heraus, in dem er uns Frode Brandeggen vorstellt, den fiktiven Autor eines experimentellen, völlig missglückten und unlesbaren 2000-Seiten-Romans. Das Werk geht natürlich mit Pauken und Trompeten unter, woraufhin Brandeggen fünfzehn leicht zu lesende Mikrokriminalromane vorlegt. Genau diese Kurzkrimis sind zwischen den Buchdeckeln von Der Pfirsisch versammelt, ergänzt durch einen neunzigseitigen Anhang mit Anmerkungen zum Autor, die aus der Feder eines deutschen Kommentators stammen. Und in vielerlei Hinsicht tritt in diesem Anhang der eigentliche Kern des Romans hervor.
Der Pfirsisch hat im Großen und Ganzen gute Kritiken bekommen, auch wenn das Buch u. a. als Verschnaufpause in Harstads Werk charakterisiert wurde. Dem kann der 40-Jährige nicht zustimmen.
„Nein, Der Pfirsisch war für mich nie eine Verschnaufpause. Eher eine Art Gegengift, eine klare Reaktion auf die sieben Jahre, die ich mit Max und Mischa verbracht hatte. Mir war klar, dass ich so einen Kraftakt nicht noch einmal vollziehen kann, zumindest nicht in nächster Zukunft. Aber so leicht und dümmlich Der Pfirsich auch daherkommen mag, es ist auf keinen Fall eine Verschnaufpause. Eher ein verspieltes Experiment.“
Brandeggen legitimiert seine fünfzehn Mikroromane mit der Absicht, Krimis für ausgemachte Lesemuffel zu schreiben. Und du hast selbst einmal gesagt, dass du bei diesem Roman versuchen wolltest, „so schlecht wie möglich zu schreiben“. Wie geht man da als Autor vor?
„Ein guter Ansatz ist zum Beispiel, dass man sich ein bestimmtes Genre vornimmt und seine Stärken einzukreisen versucht. Dann entfernt man bewusst sämtliche Elemente, die diese Stärken ausmachen, und reichert das Ganze mit Klischees an. Außerdem kann es sich lohnen, relativ schnell zu schreiben und nicht über zu viel auf einmal“, sagt Harstad über sein Experiment, das er als Versuch beschreibt, mit ein paar Mitteln „aus enorm schlechter Literatur etwas Gutes zu machen“.
Verspielt, aber nicht besonders impulsiv
Die verspielte Experimentierfreude von Der Pfirsich findet sich auch an anderer Stelle von Johan Harstads Werk. In dem dystopischen Roman Hässelby (2007) beispielsweise verpflanzt er Gunilla Bergströms Kinderbuchfigur Willi Wiberg aus der Kindheitsidylle in eine eher unglückliche und beschwerliche Erwachsenenwelt.
„Als ich mit Hässelby anfing, habe ich es nicht bewusst darauf angelegt, Willi Wiberg als Figur zu verwenden. Aber nach hundert Seiten wurde mir plötzlich klar: Ach das ist ja … Willi Wiberg!“, sagt der Autor, der sich trotz seines literarischen Einfallsreichtums als nicht besonders impulsiv beschreibt.
„Zwischen dem Autor und der Privatperson Johan Harstad verläuft eine klare Trennlinie. Als Autor kann ich mir zwar so einiges einfallen lassen, aber privat lege ich Wert auf größtmögliche Vorhersehbarkeit. Ich mag keine Veränderungen und wenn Freunde ein Bierchen mit mir trinken wollen, können sie sich nicht erst am selben Tag bei mir melden. Sie müssen mir schon mehrere Tage Vorlauf geben, damit ich mich darauf einstellen kann. Ich brauche einfach das Gefühl von Kontrolle über mein Leben und meine Zeit“, erklärt Johan Harstad und gibt zu, dass dies durchaus eine Herausforderung im Leben eines Familienvaters darstellen kann.
„Ich habe zwei Kinder im Alter von vier und eins. Wenn die beiden im Haus sind, kann ich nicht schreiben, und sobald sie krank werden und meinen Alltag damit auf den Kopf stellen, kriege ich echt Stress“, klagt Harstad und fügt mit einem Lächeln hinzu:
„Da hast du’s! Dieses Gejammer.
Das ist einfach ein Teil von mir.“
40 Jahre und Familienvater
Doch auch wenn die Kinder die Alltagsstruktur schon mal durcheinanderbringen können, ist er dennoch der Meinung, dass seine Rolle als Familienvater einen disziplinierenden Effekt hat. Sechzehn Stunden am Tag zu arbeiten, wie er es eigenen Angaben zufolge früher gern getan hat, ist heute nicht mehr möglich.
„Das mit den sechzehn Stunden Arbeit ist nicht so zu verstehen, dass ich die ganze Zeit geschrieben habe. Effektiv habe ich vielleicht zwei bis drei Stunden geschrieben, und die restliche Zeit war ich kreuz und quer im Netz unterwegs. Das habe ich aber trotzdem als Teil meiner Arbeit definiert, und deshalb war ich in diesen Stunden für niemanden erreichbar. Mein Leben bestand zu einem großen Teil darin, Dinge zu verpassen“, sagt Johan Harstad, der im Februar vierzig Jahre alt geworden ist.
Bei allem, was er verpasst zu haben glaubt, hat er es jedoch geschafft, die Cover seiner Bücher selbst zu gestalten. Seit seiner zweiten Veröffentlichung, dem Erzählband Krankenwagen (norw. Ambulanse) von 2002, tut er das schon, und im Fall von Max, Mischa und die Tet-Offensive hat ihm die Umschlaggestaltung sogar einen Preis eingebracht.
„Ich habe zwar keine Ausbildung im grafischen Bereich, war aber schon immer an visuellen Ausdrucksformen interessiert. Wenn mir eine Idee für ein Buchprojekt kommt, sehe ich oft als Erstes die Bilder vor mir, bevor ich mich an den Text begebe. Es geht da um das Einfangen einer bestimmten Stimmung“, sagt Harstad und erzählt, dass er sich in seinen Schreibpausen oft der visuellen Arbeit widmet.
„Man kann nicht ununterbrochen schreiben, und da stellt grafisches Arbeiten eine wichtige und bereichernde Atempause dar.“
Legendär schlechtes Konzert
Johan Harstad war auch eine Zeitlang als fest angestellter Hausautor am norwegischen Nationaltheater tätig. Diesem Lebensabschnitt scheint er jedoch ambivalent gegenüberzustehen.
„Fürs Theater zu schreiben, ist ein bisschen wie dreidimensionales Schreiben, aber eigentlich zieht es mich gar nicht so sehr zur Bühne oder zum Film. Dabei spielt, glaube ich, das Thema Geld eine große Rolle. Was man sich erlauben kann, ist in hohem Maße vom finanziellen Rahmen vorgegeben, und der bestimmt auch oft darüber, welche Richtung ein Projekt nimmt. Im Prinzip habe ich gar kein Problem mit dem Streichen von Text, aber wenn hinter solchen Entscheidungen Geld- oder Zeitgründe stehen, kann ich das nur schlecht akzeptieren“, sagt Harstad und gibt lächelnd zu, dass er sich auch mal als Musiker versucht hat.
„Ich habe in ein paar echt schlechten Bands gespielt, die prominenteste davon war Schtraf. Wir haben immer gesagt, wir proben nur vor einem Konzert, und Konzerte spielen wir nur in Deutschland. Da versteht es sich von selbst, dass wir nicht allzu aktiv waren“, sagt Johan Harstad mit einem Grinsen. Trotzdem muss er einräumen, dass Schtraf tatsächlich in Deutschland aufgetreten ist.
„Wir haben unter anderem ein legendär schlechtes Konzert in Essen gespielt, kurz vor unserem allerletzten Auftritt, irgendwann 2010. Der fand auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof in Berlin statt. Es waren immerhin zwölf Leute da, die uns hören wollten.“
Wollen wir wetten, dass zur Buchpremiere von Max, Mischa und die Tet-Offensive im März ein paar Zuhörer mehr kommen?
Weitere Informationen zum Buch
finden Sie auf der Webseite des Rowohlt Verlags.
Rezensionen zum Buch
Am 26.03. im Deutschlandfunk Kultur
Am 31.03. in der Süddeutschen Zeitung