Im Interview: Nancy Herz, Sofia Nesrine Srour und Amina Bile

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Interview
Geschrieben von Internationale Kinder- und Jugendbuchwochen Köln

Die zwei jungen Aktivistinnen, Muslimas und Autorinnen Nancy Herz und Sofia N. Srour waren im Mai zu Gast in Köln, um dort auf den Internationalen Kinder und Jugendbuchwochen ihr Buch "Schamlos" vorzustellen.

Nancy Herz, Sofia Nesrine Srour und Amina Bile, Foto: Maria Gossé

Nancy Herz

geboren 1996, ist eine Norwegische Autorin, Journalistin, Bloggerin und Feministin mit libanesischen Wurzeln. Sie bezeichnet sich selbst als Kosmopolitin und Träumerin. Gemeinsam mit Sofia Srour und Amina Bile startete sie in norwegischen Medien die Bewegung „Schamlose Mädchen“, die sich u.a. dem Thema „Negative Sozialkontrolle“ angenommen hat, der Frauen insbesondere in Gesellschaften und Communities mit einem starken Scham- und Ehrkodex ausgesetzt sind. Daraus ist das gleichnamige Buch entstanden.

Sofia Srour

geboren 1994, die zweite der Schamlos-Autorinnen, ist in Schweden geboren und in Norwegen aufgewachsen. Auch sie hat libanesische Wurzeln. Sie ist eine feministische Autorin und Aktivistin. Sie studiert an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Oslo und schreibt für die norwegische Tageszeitung Dagsavisen.

Amina Bile

geboren 1998, ist Autorin und Feministin und war mit 18 Jahren schon Parlamentskandidatin der Linkspartei in der Region Telemark/Norwegen.

2017 erhielten die drei Autorinnen für ihren Einsatz für die Meinungsfreiheit u.a. den Fritt Ord Honnør-Preis.

Wann und wieso haben Sie sich entschieden Autorinnen zu werden?

Nancy: Bereits als Kind hatte ich Lust Autorin zu werden und Bücher zu schreiben. Ich träumte davon, Romane zu schreiben und las viele Bücher. Es war jedoch ein Zufall, dass ich zusammen mit Amina Bile und Sofia Srour das Buch Skamløs (auf Deutsch: Schamlos, aus dem Norwegischen von Maike Dörries, im Gabriel Verlag erschienen) geschrieben habe.


Sofia: Mir lag das Schreiben schon immer sehr am Herzen. Schon in jungen Jahren schrieb ich oft kurze Texte an die Menschen, die ich gern hatte - kleine Briefe über mich selbst, meine Familie, Freunde und Katzen. Über Gefühle und Gedanken. Im Laufe der Jahre wurde das Schreiben eine Möglichkeit für mich, Dampf abzulassen. Ich schrieb über Dinge, die mich aufregten und wütend machten, aber auch über Dinge, die mich glücklich machten. Heute schreibe ich z.B. Gedichte für mich selbst und gleichzeitig schreibe ich für eine Zeitung.
Es gab keinen festen Zeitpunkt, an dem ich mich entschloss, Schriftstellerin zu werden. Eines Tages fragte der Gyldendal Verlag bei mir an, ob ich ein Buch zusammen mit Nancy Herz und Amina Bile schreiben wolle. Denn unsere gemeinsam veröffentlichten Diskussionsbeiträge hatten für große Debatten in Norwegen gesorgt.

Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an diesem Beruf?

Nancy: Das Besondere daran Autor*in zu sein ist, dass man die Möglichkeit bekommt über Themen zu schreiben, die man selbst interessant findet und man hofft, dass andere Lust haben darüber zu lesen. Als ich jünger war, hat mir jemand gesagt, dass man „das Buch schreiben muss, das man selbst gern lesen würde, welches jedoch noch nicht geschrieben wurde“. Das haben wir mit Skamløs gemacht. 


Sofia: Ich liebe die Freude, die einem das Schreiben bereiten kann. Das Spezielle am Schreiben ist, wie viel Kraft in einem einfachen Wort oder einer einfachen Formulierung stecken kann und welch starke Auswirkung Sprache und Worte auf einen selbst und die Menschen um einen herum haben können. Das Schreiben kann Leben verändern, es kann Gesellschaften verändern und bleibende Spuren hinterlassen.

Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere daran, für Kinder und Jugendliche zu schreiben?

Nancy: Das Besondere daran, für Kinder und Jugendliche zu schreiben ist, dass man über die Sprache nachdenken muss. Man kann beim Schreiben nicht schummeln, indem man eine „fancy“-Sprache verwendet um zu beeindrucken. Junge Leser sind sehr klug, daher mag ich es auch sehr gerne, in Schulen über das Buch zu reden.


Sofia: Ich mag es, weil Kinder und junge Menschen in einem Alter sind, in dem sie sich trauen, schwierige Fragen zu stellen. Sie zensieren sich noch nicht selbst. Sie sind in einem Alter, in dem man beginnt, darüber nachzudenken und zu reflektieren, wer man ist und welche Ansichten man hat. Mir bedeutet es viel, sie mit meinem Schreiben dabei zu unterstützen. Besonders mit einem Buch wie Schamlos. Ein Buch, das ich mir selbst gerne als 14-Jährige gewünscht hätte - ein Buch, von dem ich glaube, dass es mir leichter gemacht hätte, ich selbst zu sein. Das Schreiben gibt mir die Möglichkeit, für junge Menschen die Person zu sein, die ich selbst in dem Alter gebraucht hätte. Ich weiß es auch zu schätzen, dass Kinder und junge Menschen, die vorher keine Bücher mochten, durch unser Buch nun mehr lesen als vorher und selbst den Stift in die Hand nehmen, weil sie sich inspiriert fühlen. Das wiederum inspiriert mich täglich.

Nancy Herz und Sofia Srour zu Gast in Köln, Foto: Internationale Kinder- und Jugendbuchwochen

Über welche Themen schreiben Sie gerne? Gibt es Themen, über die Sie nicht schreiben wollen?

Nancy: Bisher habe ich nur ein Buch geschrieben, und plane ein weiteres zu schreiben. Das Buch Skamløs handelt von Scham, Ehrenkultur und wie junge Menschen in ihrem eigenen Leben eingeschränkt sind, sowie vom Aufwachsen zwischen zwei Kulturen. Dies ist ein Thema, das ich sehr interessant finde. Andere Themen, über die ich schreiben könnte, sind Feminismus, gesellschaftliches Engagement und der Kampf für Menschenrechte. 

Sofia: Im Großen und Ganzen inspiriert mich alles, was mit Menschen zu tun hat, sowohl das Gute als auch das Schlechte. Ich mag es nicht, nur über Alltäglichkeiten zu schreiben. Meistens schreibe ich über das, worüber wir nicht reden, aber häufiger reden sollten. Über Tabuthemen und schwierige Themen, über die man nur ungerne liest und spricht, also über Dinge, die etwas unbequem sind. Ich schreibe außerhalb meiner Komfortzone. Gerade das erzeugt in mir ein Gefühl der Zufriedenheit.

Worum geht es in Ihrem Buch?

Nancy: Schamlos ist ein Sachbuch und handelt davon, wie es ist, zwischen zwei Kulturen aufzuwachsen. Auf der einen Seite erlebt man den Druck der Familie und des sozialen Umfelds und auf der anderen Seite den gesellschaftlichen Druck. Das gilt nicht nur für Jugendliche mit Migrationshintergrund, auch andere Jugendliche erleben, dass sie unter Druck stehen, wenn es darum geht herauszufinden, wer sie sind und wer sie sein wollen. 


Sofia: Unser Buch ist eine vielschichtige und antirassistische Auseinandersetzung mit Ehren- und Schamgesellschaften. Auf Ehrennormen beruhende Gewalt ist eine von vielen Erscheinungen in Patriarchaten, in denen es eine Kultur der Gewalt gegen Frauen und gegen ethnische und sexuelle Minderheiten gibt. Diese Gruppen werden als Menschen angesehen, die Schande über die Familie und/ oder eine Gemeinschaft bringen, weil ihr Verhalten als unmoralisch oder ehrverletzend angesehen wird, da sie beispielsweise gesellschaftliche Regeln brechen oder sozial anerkannte Normen überschreiten. Mit unserem Buch wollten wir die auf Ehrennormen basierende Gewalt in Worte fassen und anderen dabei helfen, das Gleiche zu tun. Wir wollen das Bewusstsein für dieses Problem schärfen und jungen Menschen, unabhängig vom sozialen oder ethnischen Hintergrund, eine Sprache geben, damit sie die Strukturen beschreiben und verstehen können, die ihre Freiheit beschränken und die ihnen ihre fundamentalen Menschenrechte nehmen.

Was machen Sie, wenn sie keine Bücher schreiben?

Nancy: Wenn ich keine Bücher schreibe, mache ich sehr viele andere Sachen! Ich arbeite bei einer Organisation mit dem Namen Frivillighet Norge. Ein großer Teil meiner Arbeit dort besteht darin, möglichst viele Menschen dazu zu bringen, sich ehrenamtlich zu engagieren. Ansonsten reise ich sehr viel durch Norwegen und rede über „Skamløs“. Letztes Jahr habe ich an über 90 Veranstaltungen teilgenommen und über das Buch gesprochen. Zusätzlich schreibe ich Kolumnen bei der Zeitung Aftenposten, studiere Soziologie und Rechtswissenschaften, arbeite ehrenamtlich in einigen Organisationen und versuche Zeit für Freunde und meine Familie zu haben. In meiner Freizeit gehe ich gerne ins Theater!

Sofia: Ich bin eine „wütende Feministin“, Jurastudentin, Schriftstellerin, Referentin und Vorstandsmitglied von CARE Norwegen, und daher habe ich eigentlich nicht viel Freizeit übrig... aber das Schreiben ist ein Teil meiner Freizeit, weil ich es liebe zu schreiben. Zurzeit schreibe ich zwar kein neues Buch, aber ich schreibe viel für mich selbst, und vielleicht kann daraus ja ein Buch werden. Ich lese viel, und ich denke umso mehr nach. Um Stress abzubauen, hebe ich gerne schwere Gewichte in einem Fitnesscenter, besuche einen Schießclub, laufe – oder ich schmuse einfach nur mit meinen Katzen!

Aus dem Norwegischen von Birgit Gerle, Matthias Hondrich und Dennis Nolden.

Hier finden Sie eine Leseprobe aus "Schamlos" (2019, Gabriel Verlag, Stuttgart)

www.kibuwo-koeln.de

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