(das Boot /5. November 2014)
die letzte Stunde des Tags fällt rot
die erste Stunde des Tags liegt tot
vier Uhr wollte warnen geh nachhaus es ist spät
lichter Tag war außer sich elf Uhr ging zu Bett
sechs Uhr schlachtete den Hahn neun Uhr schleckte Blut vom Flügel
ein Uhr lief um die Ecke um mitten in der Nacht zu leben
alle anderen Stunden hauten ab und klangen mit achtmaligem Schlag
für uns wird es niemals Tag
alle Male sterben viele Male
alle Hinterbliebenen haben Schuld zu vergessen haben wir nicht geschafft
ihn der starb heute ist er ein Gefäß
das am Tischende steht und ruft wir sind einer zu wenig
wir haben dich gehoben und gehoben im Sarg
zum Schluss warst du leicht zu heben
zum Schluss bliebst du in der Luft
der Wind tutet wir sind einer zu viel seht den Sarg
er kann segeln wir haben versucht zu vergessen
den Körper des Toten haben wir in die Erde versenkt
aber das Gesicht und die Wörter vergesst nie
malten Leute an die Wände und im Bug
von jedem Boot winkt dem Boot winkt
es gebar uns an diesem Strand
wir die nur vergessen wollten winkt dem Boot
es taufte uns zu Hinterbliebenen
wir die mit einer Plastiktüte flaggen
Boote geben uns wenig Trost
das Boot sagt ich kann dir das Meer geben
wir wollen kein Meer
wir wollen ein Land
Übersetzung von Tone Carlsen und Annette Vonberg
(båten / 5. november 2014)
dagens siste time faller rød
dagens første time ligger død
klokka fire ville varsle gå hjem det har blitt sent
lyse dagen var helt fra seg klokka elleve gikk og la seg
klokka seks slaktet hanen klokka ni slikket blod fra vingen
klokka ett har rømt rundt svingen for å leve midt på natten
alle andre timer stakk og klang med åtte slag
for oss blir det aldri dag
alle ganger dør mange ganger
det er alle etterlattes skyld vi har ikke klart å glemme
han som døde i dag er han ei skål
som står ved bordenden og roper vi er én for lite
vi har løftet deg og løftet deg i kiste
til slutt så ble du lett å løfte
til slutt så ble du værende i lufta
vinden tuter vi er én for mye se på kista
den kan seile vi har prøvd å glemme
kroppen til den døde senket vi i jorden
men ansiktet og ordene aldri glem
malte folk på veggene og i baugen
på hver båt vink til båten vink
den fødte oss på denne stranda
vi som bare ville glemme vink til båten
den døpte oss til etterlatte
vi som flagger med en plastpose
båter gir oss liten trøst
båten sier jeg kan gi deg havet
vi vil ikke ha et hav
vi vil ha et land
Aus Gunnar Wærness (1971), Venn med alle, Forlaget Oktober, Oslo 2018.
Gedicht der Woche. 52 Gedichte durch das Jahr
Seit den ersten Niederzeichnungen mit Felszeichnung und Runeninschrift, genießt die Dichtung und die Poesie eine starke Stellung in Norwegen. Durch die wöchentliche Präsentation eines Gedichts im Jahr 2019, möchten wir die Qualität und Vielfältigkeit der norwegischen Poesie beleuchten. "Gedicht der Woche" stellt 52 Gedichte vor, die vom Jahresablauf und den wechselnden Jahreszeiten inspiriert sind. Die Auswahl ist von Annette Vonberg und Tone Carlsen getroffen worden und umfasst Lyrik von den ersten Handschriften bis hin zu zeitgenössischer Poesie.