Fruchtbare Naturlyrik

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„Es geht um traditionelle Themen wie Naturphilosophie, die die samischsprachige Literatur schon immer bearbeitet hat“, erklärt der Autor und Übersetzer Sigmund Skåden.

Wichtige literarische samische Stimmen: Karen Anne Buljo, Inga Ravna Eira, Niillas Holmberg und Biret Risten Sara.

Eine durchschnittlich gebildete Person in Norwegen und Europa hat ziemlich wenig Ahnung von samischer Literatur. 1991 gewann der Multimediakünstler Nils-Aslak Valkeapää den Literaturpreis des Nordischen Rates und ist seitdem ein geläufiger Name, abgesehen davon kennt man aber kaum jemanden. Wir rufen Sigbjørn Skåden an, um uns weiterzubilden.

Der in Tromsø wohnende Schriftsteller Sigbjørn Skåden debütierte 2004 mit dem epischen Langgedicht Skuovvadeddjiid gonagas (Der Schusterkönig), was ihm sofort eine Nominierung für den Literaturpreis des Nordischen Rat einbrachte. Außerdem übersetzt er Kinderbücher vom Norwegischen ins Samische und ist Dozent an der eher jungen Schriftstellerakademie in Karasjok.

Zusätzlich engagiert sich Sigbjørn Skåden als stellvertretender Vorsitzender der norwegischen Autorenvereinigung.

Sigbjørn Skåden. Foto: Tanya Busse

Mündliche Tradition

Worüber wird in samischen Büchern geschrieben?

„In der samischen Literatur kehren einige Themen immer wieder: Naturlyrik hat momentan einen großen Stellenwert, den sie auch immer schon hatte. Die samische Literatur, so wie wir sie heute verstehen, existiert erst seit hundert Jahren, da die mündliche Überlieferungstradition früher viel stärker ausgeprägt war. 1910 veröffentlichte Johan Turi aus dem nordschwedischen Kiruna eine Sammlung von Werken über die Sami, philosophische und historische Texte, also eine Philosophie des samischen Lebens.

Das stärkste Standbein ist und bleibt die mündliche Überlieferung, die – ohne dies negativ zu bewerten – sehr traditionell bleibt. Der Großteil der samischen Bevölkerung erlebt Literatur als etwas Relevantes in ihrem täglichen Leben. Müsste ich eine Parallele zur skandinavisch-mittelalterlichen Tradition ziehen, würde ich die Skaldendichtung als Verwandte nennen, denn wir sprechen hier von hochlyrischer Poesie. Außerdem besteht eine Parallele zur traditionell skandinavischen Joikmusik- und Joik-Text-Tradition. Die Ausprägungen variieren jedoch enorm von Region zu Region, zusätzlich muss man bedenken, dass der Joik historisch gesehen viel textlastiger war, als er es heute ist. Die meisten, für gewöhnlich sehr langen Joiktexte, wurden jedoch vor 1910 niedergeschrieben.“

Das Frankfurt 2019-Projekt hat zu Übersetzungen und Probeübersetzungen samischer Literatur ins Deutsche geführt. Samisch wird grundsätzlich wenig in andere Sprachen übertragen, nun erscheinen endlich Lyrikanthologien auf Deutsch und Englisch.

Zwei der wichtigsten Bücher von Nils-Aslak Valkeapää, Trekways of the wind und The Sun, my father, werden im Rahmen der Buchmesse ins Deutsche übersetzt. Máret Ánne Sara ist eine der neuen Stimmen, deren Erstlingswerk, dem noch zwei weitere Bände einer Trilogie folgen sollen, ins Deutsche übersetzt wird. Auch ihr Buch wurde für den Literaturpreis des Nordischen Rates nominiert, jedoch in der Kategorie Kinder- und Jugendbuch.

„Die Literatur der Sami ist Teil des norwegischen Literaturerbes. Dies bietet uns die einzigartige Gelegenheit, Literatur und gesellschaftliche Debatten der Sami für die ganze Welt zugänglich und sichtbar zu machen“, erläutert Henrik Olsen, Minister im samischen Parlament.

Die samische Umweltperspektive

Kommen wir zurück zu Sigbjørn Skåden. Bilden die starken Umweltthemen die Poesie indigener Völker ab, die in die Welt hinausblicken, oder erleben wir darin einfach Darstellungen ihres Alltags?

„Ein natürliches und nicht-intellektualisiertes Interesse an Ökologie war schon immer da. Umweltliteratur und Kolonisationserfahrungen sind zwei Hauptmotive in der Sami-Literatur, einer Literatur, die sich seit den 1970ern und 80ern in ihrer Form und Gestaltung in stärkerem Maße professionalisiert hat. Heute gibt es mehr Autoren und Autorinnen, die vom Schreiben leben können, als es damals der Fall war.“

Wie schreiben junge samische Schriftsteller und Schriftstellerinnen ihre Ökoliteratur?

„Trotz der Verbesserung im Literaturbetrieb, entstehen immer noch so wenige Bücher, dass es schwierig ist, eine gemeinsame Tendenz auszumachen. Ich beobachte jedoch, dass die Ökoliteratur extrovertierter geworden ist, dass man die samische Umweltperspektive in die globale Perspektive des Klimawandels integriert. Nils-Aslak Valkeapää wandte dieselben Kniffe in den neunziger Jahren an, die letzten Jahre schenkten uns jedoch noch mehr Schilderungen solch miteinbezogener Perspektiven.“

Máret Ánne Sara und Niillas Holmberg auf der Hauptbühne des norwegischen Ehrengast-Pavillons auf der Frankfurter Buchmesse 2019. Foto: Sabine Felber

Wer zählt heute zu den führenden literarischen Stimmen?

„Die jährlichen Nominierungen des Nordischen Rates sind ein Indiz für qualitative junge Literatur. Ich persönlich schätze einen jungen Dichter namens Niillas Holmberg, der von der finnischen Seite der samischen Region kommt. Sein neuestes Buch könnte sein bisher stärkstes sein. Die Schriftstellerakademie in Karasjok, in der ich einer der beiden Dozenten sein darf, hat bereits ihre ersten Absolventen geboren, und die Ergebnisse können sich sehen lassen:

Die letzte Gruppe brachte drei Debütanten hervor.

Einer von ihnen gilt als der erste Poetry Slammer/ spoken word-Künstler im samischen Kulturraum. In der aktuellen Gruppe hat ein Teilnehmender bereits etwas veröffentlicht, ein anderer wird seine erste Publikation um die Weihnachtszeit vorzuweisen haben. Für Nachwuchs ist also gesorgt.

Aus dem Norwegischen von Daniela Syczek.

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