Exotisches aus Norwegen

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Geschrieben von Atle Nielsen , BOK365

Roy Jacobsens Nordnorwegen-Trilogie verkaufte sich im Heimatland des Schriftstellers nahezu 300.000 Mal. Jetzt erobern die „exotischen“ Romane die Welt.

Roy Jacobsen, Foto: Guri Pfeifer

Roy Jacobsen ist einer von Norwegens Bestsellerautoren. Er debütierte 1982 und veröffentlichte seitdem eine Reihe von Romanen und Novellen, die in Norwegen gelesen, geliebt und hochgelobt werden. Seine Trilogie über die Geschichte des Mädchens Ingrid von der Insel Barrøy, die sich in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zuträgt, hat auch die internationale Leserschaft im Sturm erobert. Der erste Band der Trilogie Die Unsichtbaren ( zuletzt erschienen in der Übersetzung von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann im SAGA Egmont, norw. De Usynlige) stand auf der Shortlist des Dublin Literary Award und des Man Booker International Prize.

Frankfurt 2019

Roy Jacobsen freut sich auf Norwegens Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse: „Man sollte es als eine Investition sehen“, meint er. „Die Literatur trägt, zumindest zu Teilen, auch zum Gemeinwohl bei. Wie viel Geld Jostein Gaarder wohl versteuert hat, als er mit Sofies Welt zu den meistverkauften Schriftstellern der Welt zählte?“

Was die Frankfurter Buchmesse für ihn in petto hat?

„Meine Bücher sind in 41 Sprachen übersetzt, ich gehe jetzt also nicht davon aus, in Frankfurt ‚entdeckt’ zu werden“, meint Jacobsen lächelnd, von dem mehr als zehn Bücher bereits ins Deutsche übersetzt wurden. „Aber Deutschland ist eine Kulturnation. In der Literatur ist Deutsch die zweitwichtigste Sprache und wahrscheinlich die, in die am meisten übersetzt wird. Für viele ist genau das ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Du wirst nicht unbedingt als erstes in Albanien oder China gelesen. Erstmal wirst du ins Deutsche oder Englische übersetzt. Dann wird vielleicht jemand auf dich aufmerksam und übersetzt Dich in andere Sprachen.“

Wiederbegegnung

Der Gastland-Auftritt steht auch im Zeichen der Wiederbegegnung: Als Island im Jahre 2011 Gastland der Frankfurter Buchmesse war, übernahm Halldór Guðmundsson die Leitung des Gastlandprojektes; diese Aufgabe hat er jetzt auch für Norwegen eingenommen. Und auch Islandfreund Roy Jacobsen war schon damals mit dabei.

„Ich habe an einer Saga-Anthologie mitgearbeitet, die in Island herausgegeben wurde. Ich bin oft in Island zu Gast und kann auch die Sprache ein bisschen. Als Island Gastland in Frankfurt war, konnte ich miterleben, wie toll so ein Gastlandauftritt inszeniert werden kann. Die norwegische Literatur befindet sich gerade in einer frischen, neuen Phase. Vielleicht ist Norwegen momentan sogar das nordische Land mit der stärksten Literatur, gemeinsam mit Island. Deswegen wird Frankfurt 2019 sehr wichtig werden.“

Ingrid

Jacobsens Trilogie über Ingrid von der Insel Barrøy, bestehend aus den Bänden Die Unsichtbaren, Weißes Meer (erschienen im Osburg Verlag, ebenfalls in der Übersetzung von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann) und Rigels Augen (erscheint im Sommer 2019 im C.H.Beck Verlag) bescherten dem 63-Jährigen einen abenteuerlichen Erfolg. Es hieß zunächst, das dritte Buch solle auch das letzte sein, doch sein Ende ist sehr offen. Hat er mit Ingrid abgeschlossen?

„Nein, das kann ich so nicht sagen. Ich kann mir vorstellen, dass da noch mehr kommt, aber ich kann auch noch nichts Konkretes versprechen. Alles hängt davon ab, wo mir gerade der Kopf steht. Vielleicht taucht auch erst eine andere Idee auf, die mich dann früher oder später wieder zu Ingrid führt.“

Ob ihn der Erfolg von Ingrid überrascht hat?

„Ja, sehr. Die Bücher wurden fast 300.000 Mal in Norwegen verkauft, das hätte ich nie gedacht. Ich hätte mir auch nie erträumt, dass der erste Band international so gut ankommt. Ich glaube, er ist inzwischen in 25 Sprachen erschienen, was mir zeigt, dass man so exotisch sein mag, wie man will und trotzdem Erfolg haben kann. Das ahnte ich schon, als ich ein französisches Exemplar von Vesaas’ Die Vögel entdeckt habe. Die Handlung spielt in einem norwegischen Kaff und ist trotzdem ein Welterfolg. Nein, exotisch zu sein ist wirklich kein Hindernis.“

Die reinste Wahrheit

Auf dem Wohnzimmertisch des Schriftstellers liegt ein Bücherstapel. Ganz oben ein Exemplar von Dostojewskis Schuld und Sühne.

„Ich bin auch an Übersetzungsfragen interessiert“, erzählt Jacobsen. „Russisch ist schwierig, ich verstehe es nicht. Aber hören mal Sie dieser alkoholisierten tragischen Gestalt Marmeladov zu, der sagt: „Armut ist keine Last. Sie ist die reinste Wahrheit.“

Schuld und Sühne erzählt unter anderem von einem Mord, der Fahndung nach dem Mörder und dessen Seelenqualen. Norwegens literarische Exportware in den letzten Jahren ist vor allem die Kriminalliteratur. Liest Roy Jacobsen moderne Krimis?

„Ein oder zwei pro Jahr. Was mich an Krimis fesselt ist die Erzähltechnik des Autors. Davor habe ich großen Respekt.“

Im Moment ist Jacobsen mit der Neuübersetzung der Njals Saga beschäftigt, die sich vor rund 1000 Jahren auf Island abspielt. „Alle meine Gedanken drehen sich gerade um dieses eine Thema. So ist es nun mal als Schriftsteller. Und wie Sie wissen, bin ich sehr an Geschichte interessiert. Mein ganzes Leben lang habe ich historische Texte verschlungen. Und nicht etwa zu Recherchezwecken, sondern aus reiner Freude. Trotzdem kamen mir im Laufe des Leseprozesses die eine oder andere Idee...“

Wir dürfen also gespannt sein, in welche Exotik sein nächstes Buch führen wird.

Aus dem Norwegischen von Karoline Hippe

Für mehr Information

Cappelen Damm Agency: Die Unsichtbaren

Books from Norway: Roy Jacobsen

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