Ein Tag im Leben eines Schriftstellers: Sigrid Undset

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Porträt
Geschrieben von Alva Gehrmann

Wie mag wohl ein typischer Tag im Leben der alleinerziehenden Literaturnobelpreisträgerin Sigrid Undset in den 1920er Jahren ausgesehen haben? Wir verraten es Ihnen...

Sigrid an ihrem alten Schreibtisch im Wohnzimmer. Foto: Alvilde Torp/ Bjerkebæk Museum

Der typische Tag von Sigrid Undset

Streitlustige Feministin, alleinerziehende Mutter, späte Katholikin und Literaturnobelpreisträgerin: Sigrid Undset ist eine der großen Schriftstellerinnen Norwegens. Ihre Romanzyklen Kristin Lavranstochter und Olav Audunsson waren ab den 1920ern internationale Bestseller – in Deutschland verkaufte sie damals fast eine halbe Million Exemplare dieser beiden Buchreihen. Undsets Vita ist ähnlich bewegt wie ihre Familiensagas und den Norwegern bis heute vertraut. Im deutschsprachigen Raum geriet sie zeitweise in Vergessenheit, im September jedoch erscheint bei Hoffmann und Campe eine neue Übersetzung ihres ersten Mittelalterromans Viga-Ljot und Vigdis (aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs).

Viele Werke schrieb Undset in Bjerkebæk, ihrem Zuhause in Lillehammer. Wie der Alltag dort aussah, beschreibt Nan Bentzen Skille anschaulich in ihrem Buch Inside the Gate (University of Minnesota Press). Im Frühjahr konnte die Autorin Alva Gehrmann eine Woche lang im Gästehaus von Bjerkebæk schreiben und so nebenbei in die Welt von Sigrid Undset (1882 – 1949) eintauchen. Hier wird ein typischer Tag der Literaturnobelpreisträgerin beschrieben.

Links das Gästehaus mit der Bank mit Blick auf das Haupthaus und die Traubenkirsche. Foto: Alva Gehrmann

Morgens

Der alleinerziehenden Mutter von drei Kindern lag das frühe Aufstehen nicht. Deshalb war sie froh, später zwei Haushaltshilfen zu haben. Zeitweise wohnten noch Verwandte mit deren Kindern bei ihr, so war stets Trubel im Haus. In den ersten Jahren stand ihr Schreibtisch direkt im Wohnzimmer am Fenster. Von dort aus konnte sie auf ihren blühenden Garten blicken, den sie in den Pausen liebevoll pflegte. Undset schrieb an diesem Platz Kristin Lavranstochter, für deren kraftvollen Schilderungen des nordischen Lebens im Mittelalter sie 1928 den Nobelpreis erhielt. Dank des kommerziellen Erfolges konnte Undset es sich leisten, Bjerkebæk nach und nach auszubauen. So wurde ein zweites holzüberzogenen Haus von einer alten Farm in Gudbrandsdalen nach Lillehammer gebracht.

11 Uhr

Seit Bjerkebæk ausgebaut war, lag Undsets Schlafzimmer im zweiten Haus, wo sie meist bis 11 Uhr im Bett mittelalterliche Texte studierte und die Poststapel sichtete. Im Laufe des Vormittags ging sie durch den langen Korridor, der die beiden Häuser verbindet, ins Esszimmer. Dort las sie Zeitungen, trank stark gebrauten Kaffee und aß Butterbrote. Nebenbei füllte sich schnell der frisch gereinigte Aschenbecher. Manchmal saß ihre Tochter Mosse auf dem Schoß, da sie krank war, konnte sie keine reguläre Schule besuchen. Anschließend ging Undset an ihren Schreibtisch im neuen Haus, von dem aus sie in den Wald blickte.

15 Uhr

Das Mittagessen gab es im Hause Undset sehr spät. Pünktlich um 15 Uhr versammelte sich die gesamte Familie um den Tisch. Da die Schriftstellerin in jungen Jahren in Italien gewohnt hatte, aßen sie öfter für die damalige Zeit exotische Gerichte wie Spaghetti mit Tomatensoße.

Nachmittags

Nach der kurzen Familienzeit brauchte Undset wieder absolute Ruhe zum Schreiben. Während sie ihre ersten Werke handschriftlich verfasste, hörte man später oft bis in die Nacht hinein das Tippen auf der Schreibmaschine. Ihre Arbeit wurde im Laufe des Tages mehrmals durch Gebete unterbrochen.

Sigrid Undsets Schreibmaschine. Foto: Ian Brodie

Nach Mitternacht

Während ihre beiden Söhne und ihre Tochter schliefen, war Undset meist noch bis zwei oder drei Uhr wach. Sie schrieb und gönnte sich gerne einen Glas italienischen Wein. Das war ihr Dolce Vita in Lillehammer.

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Alvas typischer Tag im Gästehaus

Das Gästehaus liegt seitlich der Haupthäuser im duftenden Garten. Außerhalb der Besucherzeiten ist es wunderbar still in Bjerkebæk. Während meiner Zeit war es so warm, dass ich meist vor dem Haus auf der hellblauen Bank saß. Ich machte Notizen, las Kristin Lavranstocher und hatte manchmal das Gefühl, als würde die frühere Hausherrin vom Fenster aus auf mich schauen. Bei leichtem Wind tanzten die Blüten der Traubenkirsche wie Schneeflocken durch die Luft, einige landeten in meinem Notizbuch, wo sie bis heute ruhen.

INFOS

Im Sommer ist Bjerkebæk, in das Sigrid Undset im Sommer 1919 einzog, für Führungen geöffnet. Am 20. Mai eröffnet eine neue Dauerausstellung „Sigrid Undset’s Travels“ https://eng.bjerkebek.noAußerdem finden während des alljährlichen Norsk Litteraturfestival, das den Beinamen Sigrid Undset-dagene trägt, zahlreiche Veranstaltungen auf dem Gelände statt. https://litteraturfestival.no/en/

Infos über die Autorin: https://eng.bjerkebek.no/Sigrid-Undset

Buchlinks

http://www.hoffmann-und-campe.de/buch-info/viga-ljot-und-vigdis-buch-11899/

https://www.upress.umn.edu/book-division/books/inside-the-gate

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