Ein Schritt des Weges: Torbjørn Ekelund und Erling Kagge

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Geschrieben von Vidar Kvalshaug, BOK365

Warum gehen diese Männer auf Tour? Fragen wir lieber: Warum hast du damit aufgehört?

Torbjørn Ekelund (Foto: Jørn H. Moen) und Erling Kagge (Foto: Lars Petter Pettersen)

Erling Kagge bringt diese Frage zur Sprache, in Bezug auf seinen mittlerweile verstorbenen Freund, den von Spinoza inspirierten Philosophen Arne Næss. Næss wurde einmal von einem Journalisten gefragt, warum er in seinem hohen Alter noch bergsteigen würde. „Warum ich klettere? Warum haben Sie damit aufgehört?“, konterte Næss mit einer Gegenfrage.

„Fast alles ist eine Tour“, sagt Kagge. „Auf den meisten Touren, die man unternimmt, passieren keine Sensationen, aber ein paar kleine Dinge hier und da. Die meisten Touren dienen nicht dazu, um etwas anderes zu erreichen. Es braucht nicht mehr zu sein, es braucht nicht so strikt zu sein. Es ist ja schließlich keine Religion, oder?“

Erling Kagge wurde in den meisten deutschen Zeitungen und Magazinen vorgestellt, nicht in erster Linie als Verleger und Autor, sondern vor dem Hintergrund früherer Glanzleistungen. In den 1990er-Jahren war er der Erste, der die drei extremsten Punkte der Erde erreichte: den Nord- und Südpol auf Skiern, den Mount Everest mit Seilen und zu Fuß. In den letzten paar Jahren hatte er beachtlichen internationalen Erfolg als Sachbuchautor.

Sein Buch Stille wurde in siebenunddreißig Länder verkauft. Nun wird Gehen. Weiter gehen. Eine Anleitung bald auch als achenbuch auf Deutsch erscheinen (beide Bücher von Ulrich Sonnenberg übersetzt).

Der Fisch beim Parkplatz

Wir haben gerade den Wald am Sognsvann erreicht, als wir die Bugwelle einer Forelle sehen. Einer großen Forelle.

„Das ist typisch. Ein Gewässer, das so nah am Parkplatz liegt, dass die Leute das Gefühl haben, sie sind noch nicht weit gekommen auf ihrer Angeltour, wird meist nicht befischt. Hier kann die Forelle ungestört groß werden“, sagt Torbjørn Lysebo Ekelund und nickt, während er den Svartkulp-See in seinem mentalen GPS-Gerät abspeichert.

Er steigt zum Ufer hinunter und beugt sich über die Wasserfläche, um zu sehen, welche Insekten dort umherschwirren. Oslo ist eine Asphaltfläche mit Straßenbahnschienen und ständigen Reparaturarbeiten mitten in der Natur. Auf allen Seiten findet man Natur, in die man hinausgehen kann. Im Südosten besteht sie aus Wasser. Aber die Autoren Erling Kagge und Torbjørn Lysebo Ekelund finden immer Gelände zum Gehen.

„Ich habe bislang noch nicht viel geangelt, aber ich werde diesen Sommer im Lærdal-Fluss damit anfangen. Dorthin fahre ich mit ein paar Freunden zum Lachse fischen“, erzählt Erling Kagge.

Deshalb handelt auch keines ihrer gerade übersetzten Bücher vom flüchtigen Verhalten der Fische, von ihrem Gewicht, Ködern oder Anglerglück.

Nie geradeaus gehen

Zwei Bücher von Ekelund erscheinen dieses Jahr auf Deutsch. Mein Sohn und der Berg. Unser Abenteuer in Norwegens Natur (Übersetzung: Andreas Brunstermann) handelt von einer Bergtour mit seinem Sohn August. Das Besondere ist, dass der Sohn das Tempo und die Wegstrecke bestimmen darf.

„Für mich wurde das eine interessante und neuartige Tour. Kinder gehen ja nie geradeaus. Sie überqueren Wege, bleiben stehen, sehen sich Dinge an oder beschließen plötzlich, um ein Uhr mittags das Zelt aufzubauen, wenn wir gerade erst in Gang gekommen sind. Davon können wir Erwachsenen eine Menge lernen.“

Stiens historie (dt. „Die Geschichte des Weges“) ist ein persönlicher Bericht über einen Kindheitsweg, aber auch über einen universellen Weg: Wege und die Gewohnheit, Wege zu gehen, gab es in allen Kulturen zu allen Zeiten.

Warum sollen wir gehen?

„Die ganze Gesellschaft bestimmt, dass wir schnell unterwegs sein sollen, im Leben, in der Ausbildung und im Job. Wir sollen effizient und rational sein. Wandern ist eines der radikalsten Dinge, die man in der heutigen Gesellschaft tun kann“, behauptet Kagge.

Was bringt Ihnen eine Wanderung?

„Wenn ich mit dem Auto fahre, bekomme ich von der Strecke nichts mit. Wenn ich mit dem Zug oder mit der Straßenbahn fahre, kriege ich ein paar Menschen zu sehen. Wenn ich gehe, ist da noch ein bisschen mehr. Auch wenn sich das Leben dadurch nicht verändert, werden beim Gehen Zeit und Raum ein wenig erweitert.“

Was ist mit dem norwegischen, protestantischen Sonntagsspaziergang, den man machen soll, bevor man seine Freizeit genießt?

„Ich finde, Max Weber hat gute Ideen. Sonntags gehen die Leute gern vor dem Lammbraten und dem Rotwein spazieren, und ich finde, es ist ein schöner Gedanke, sich etwas zu verdienen, bevor man etwas Schönes genießt.“

Ein Rhythmus, ein Fluss

„Ich arbeite für die Zeitschrift Harvest, in der viel über das Leben in der freien Natur geschrieben wird. Die meisten Besucher unserer Website fragen uns als Erstes, wo sie losgehen sollen“, sagt Torbjørn Lysebo Ekelund.

„Vielleicht am Waldrand“, frotzelt Erling Kagge.

Ist die Tour missglückt, wenn man nichts Kluges gedacht oder keine neuen Einsichten gewonnen hat?

„Es ist total in Ordnung, beim Gehen nicht allzu viel nachzudenken, aber man bekommt ja die ganze Zeit neue Eindrücke“, sagt Kagge. „Aber ich würde nicht ausschließen, dass man Antworten auf Fragen findet, die man sich noch nie zuvor gestellt hat. Darwin, Einstein und Steve Jobbs gingen und gingen. Wenn man sich in einer Turnhalle bewegt, kann man übrigens genauso gute Effekte erzielen wie draußen in der Natur.“

„Ich habe nicht die Erfahrung gemacht, beim Gehen auf kluge Gedanken zu kommen, aber vielleicht ist ja was dran an der Vorstellung ‚seinen Gedanken freien Lauf zu lassen‘“, vermutet Ekelund.

Wann beginnt eine Tour?

„Sofort, aber es kann ein paar Minuten dauern, bevor man die täglichen Pflichten aus dem Kopf bekommt“, erklärt Kagge.

Schnell oder langsam?

„Langsam zu gehen, kann ein ganz anderes Erleben vermitteln. Als ich das Buch über die Wege schrieb, wollte ich an einem Tag zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang eine Strecke von dreißig Kilometern gehen, das bedeutete zwei Kilometer in der Stunde. Da musste ich die Geschwindigkeit drosseln und auch mal stehen bleiben, aber ich kam in einen bestimmten Rhythmus, in einen Fluss. Das war ein schönes Erlebnis, eine neue Erfahrung“, erzählt Ekelund.

Geht man besser allein oder mit anderen?

„Ich gehe gern mit anderen und schlage lieber einen Spaziergang vor, als in einem Besprechungsraum zusammenzusitzen. Aber selbst wenn man andere Menschen an seiner Seite hat, kann jeder die Tour ganz unterschiedlich erleben.“

Neue Abenteuer?

Wird es neue Expeditionen geben, Erling Kagge?

„In den achtziger und neunziger Jahren brauchte ich viel Kraft für lange Touren. Dann machte ich eine Pause.“

„Von den Expeditionen war ich auch ganz besessen, etwa um dieselbe Zeit, in der du unterwegs warst, Erling, und noch eine Weile danach. Jetzt ist das vorbei“, berichtet Ekelund.

Warum muss man auf Teufel komm raus in den sozialen Medien über seine Touren berichten?

„Mein Vater geht bestimmt sieben, acht Meilen in der Woche, das heißt, ich vermute, dass er das tut. Ich frage ihn nicht danach, und er redet nicht darüber. Er hat nicht das Bedürfnis, mir davon zu erzählen“, sagt Ekelund.

„Jetzt habe ich eine feste Partnerin, aber davor habe ich Apps in Norwegen und im Ausland ausprobiert. In Norwegen haben alle Frauen ein Bild von sich auf der Sonnenseite des Lebens, in der Ostersonne im Schnee, mit Orangen und Sportausrüstung. Im Ausland habe ich das nie beobachtet.

Ist es vielleicht etwas typisch Norwegisches, über Wandertouren zu berichten?“, mutmaßt Kagge.

„Toppwanderungen zu dokumentieren und ins Netz zu stellen ist auch so eine Sache, aber für mich ist es eher eine quantitative Art, sich mit der Natur und der Tour auseinanderzusetzen“, sagt Ekelund.

Aus dem Norwegischen von Inge Wehrmann.

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