Die Übersetzerstafette: Ursel Allenstein

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Interview
Geschrieben von Anna Schüller, NORLA

Im April geht die Übersetzerstafette an die fleißige Übersetzerin Ursel Allenstein, die uns im Interview verrät, wie es war, 1248 Seiten mit den Charakteren aus Johan Harstads "Max, Mischa und die Tet-Offensive" zusammenzuleben.

Ursel Alleinstein, Foto: Kathrin Spirk

Den ÜbersetzerInnen und ihrem hervorragenden Einsatz ist es zu verdanken, dass norwegische Literatur heute so erfolgreich in die Welt hinausgetragen werden kann. Um Licht auf ihre anspruchsvolle Arbeit zu werfen, haben wir eine Interviewreihe mit dem Titel „Die Übersetzerstafette“ gestartet, um Übersetzer und Übersetzerinnen, die aus dem Norwegischen ins Deutsche übersetzen, besser kennenlernen.

Ursel Allenstein ist 1978 geboren, hat Skandinavistik in Frankfurt und Kopenhagen studiert und lebt in Hamburg. Eigentlich ist ihre Hauptsprache Dänisch, dass sie heute aber auch aus dem Norwegischen übersetzt, hat sie laut eigener Aussage einem hartnäckigen Lektor und der unermüdlichen Förderung und Unterstützung von NORLA zu verdanken. Derzeit arbeitet sie an der Übersetzung von Barnet, einem Roman von Kjersti Skomsvold (Hoffmann & Campe Verlag), die zu ihren Lieblingsautorinnen zählt.

Liebe Ursel, wann haben Sie sich entschieden und was hat Sie dazu motiviert Bücher zu übersetzen?

Während meines Skandinavistik-Studiums in Frankfurt hatten wir dank unseres damaligen Dozenten Uwe Englert und dank Hans Balmes und Isabel Kupski vom S. Fischer Verlag die Chance, für eine Anthologie kleinere Texte ins Deutsche zu übertragen. Damals durfte ich Kurzprosa von Christina Hesselholdt übersetzen und habe sofort Blut geleckt und ziemlich hart daran gearbeitet, eines Tages Übersetzerin zu werden. Der Kontakt zu S. Fischer besteht bis heute, und mittlerweile habe ich zwei Romane von Christina Hesselholdt übersetzt – beides zu meiner großen Freude.

Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie sich nicht für das Übersetzen entschieden hätten?

Meine geheime Leidenschaft ist der Langstreckenlauf, aber ich habe sie zu spät für mich entdeckt, und abgesehen von 35 Euro, einem Pokal aus Pappe und anderen Sachpreisen hielten sich meine Einnahmen bisher in Grenzen. Außerdem wird man mit zunehmendem Alter immer langsamer und verletzungsanfälliger, was für das Übersetzen hoffentlich nicht im selben Ausmaß gilt.

Gerade haben Sie Johan Harstads Roman Max, Mischa und die Tet-Offensive (Rowohlt Verlag) übersetzt. Ihr Kollege und Mithamburger Stefan Pluschkat, der Ihnen den Staffelstab weitergereicht hat, möchte gerne von Ihnen wissen, wie es war, über 1248 Seiten lang mit Johan Harstad zusammenzuleben?

Zusammenleben ist ein sehr treffender Ausdruck. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, selbst in der WG im Apthorp Building einzuziehen und habe mit Max, Mischa und Owen gelebt und gelitten (auch tatsächlich einige Tränen vergossen). Meistens hatten wir eine gute Zeit, manchmal haben sie mich, wie echte Mitbewohner, auch in den Wahnsinn getrieben. Seit wir uns trennen mussten, denke ich tatsächlich noch oft an sie, als wären sie Menschen aus meinem wahren Leben.

Johan Harstad, Foto: Dennis Dirksen

Was macht den Roman für Sie besonders und worin lag die Schwierigkeit in der Übersetzung?

Neben der bereits erwähnten Nähe, die man zu allen Figuren entwickelt, ist der Roman für mich auch besonders, weil es um die Entstehung von Kunst geht, und zwar auch um die große Arbeit, die dahintersteckt: von der Ideenfindung über die Vorbereitung und Recherche bis hin zur oft kleinteiligen und langwierigen handwerklichen Ausführung. All die Mühen, die man dem Kunstwerk oder Theaterstück am Ende im Idealfall nicht ansieht (oder in Owens Fall anhört). Damit kann man sich auch als Übersetzerin gut identifizieren. Die größte Schwierigkeit waren vielleicht die Bandwurmsätze, die sich teilweise über mehrere Seiten erstrecken. Sie mögen vielleicht typisch deutsch erscheinen, aber meistens musste ich sie komplett auseinandernehmen und wieder zusammenbauen, um mich der deutschen Syntax anzunähern.

Rowohlt hat Harstads Max, Mischa und die Tet-Offensive in diesem Frühjahr zum Spitzentitel erkoren. Welche Folgen hat das für Sie als Übersetzerin?

Für einen Übersetzer gibt es wohl nichts Traurigeres, als die Übersetzung eines geliebten Buchs, in die man viel Mühe und Herzblut gesteckt hat, nahezu unbemerkt und ungelesen in den Weiten des Buchmarktes verschwinden zu sehen. Deshalb bin ich natürlich sehr froh darüber, wie sehr sich der Verlag, allen voran die Lektorin Diana Stübs, für Johan Harstads Roman einsetzt. Und ich kann es kaum fassen, dass das Buch im Deutschen denselben Titel und auch dieselbe Gestaltung hat wie im Norwegischen! Das ist ein seltenes Glück. Ich wünsche mir natürlich sehr, dass dieser Einsatz belohnt wird und Max, Mischa und die Tet-Offensive viele deutsche Leser findet. Mich erreichen schon im Vorfeld begeisterte Rückmeldungen aus dem Verlag und von den Buchhändlern, auch das ist selten.

Gibt es Orte, an denen Sie besonders gut arbeiten können?

Der schönste Ort zum Arbeiten ist für mich das Baltic Centre for Writers and Translators auf der schwedischen Insel Gotland. Fernab vom Alltag, mit Blick auf die Ostsee und die Domkirche von Visby, bin ich sofort von einer großen Ruhe und Konzentration erfüllt. Der zweitbeste, aber vielleicht nicht unbedingt schönste Ort ist mein externes Büro im Schanzenviertel: außen schmuddelig, innen aber fast steril und frei von Abwasch, Schmutzwäsche und stapelweise ungelesenen Büchern (das alles erwartet mich abends zu Hause).

Aussicht vom Baltic Centre for Writers and Translators auf der Insel Gotland in Schweden, Foto: Baltic Centre for Writers and Translators Gotland

Gibt es ein norwegisches Wort, von dem Sie sich wünschen, dass es auch im Deutschen existieren würde? Und wenn ja, warum?

Es ist sicher nicht lebensnotwendig, aber ich hätte trotzdem gern ein schönes deutsches Wort für „uteservering“. Außerdem finde ich spätestens seit meiner Übersetzung von Kjersti Skomsvolds Roman Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich (Hoffmann & Campe Verlag), dass „pikekyss“ (Dt. „Mädchenkuss“) ein viel schöneres Wort ist als „Baiser“.

An wen möchten Sie die Übersetzerstafette weiterreichen? Und welche Frage möchten Sie beantwortet wissen?

Ich möchte die Stafette gern an Paul Berf übergeben und ihn fragen, wie die Übersetzung von Karl Ove Knausgårds Mammutprojekt sein Übersetzerleben verändert hat.

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