Im neunten Monat geht unsere Übersetzerstafette an die großartige Übersetzerin Ina Kronenberger, die vor Kurzem Gast in NORLAs Übersetzerhotel war. Im Interview erzählt sie unter anderem was ihr dieser Aufenthalt bedeutet hat und warum sie zu den Werken von Per Petterson ein ganz besonderes Verhältnis hat.
Den Übersetzern und ihrem hervorragenden Einsatz ist es zu verdanken, dass norwegische Literatur heute so erfolgreich in die Welt hinausgetragen werden kann. Um Licht auf ihre anspruchsvolle Arbeit zu werfen, haben wir eine Interviewreihe gestartet, in der wir Übersetzer und Übersetzerinnen, die aus dem Norwegischen ins Deutsche übersetzen, besser kennenlernen.
Ina Kronenberger wurde 1965 in der Pfalz geboren und arbeitet seit Abschluss ihres Magisterstudiums als freiberufliche Literaturübersetzerin aus dem Französischen und Norwegischen. Zu den von ihr übersetzten norwegischen Autorinnen und Autoren gehören unter anderem Linn Ullmann, Per Petterson, Stian Hole, Hanne Ørstavik und Erika Fatland. Gerade arbeitet arbeitet sie an Dag Solstads Roman „16.07.41“.
Liebe Ina, wann haben Sie sich entschieden und was hat Sie dazu motiviert Bücher zu übersetzen?
Die Entscheidung, Literaturübersetzerin zu werden, ist bei mir während des Studiums gefallen, als ich in diversen Übersetzungskursen festgestellt habe, wie viel Spaß es mir macht, an Wörtern und Sätzen herumzutüfteln, und wie befriedigend ich es finde, eine in meinen Augen und Ohren gute Übersetzung gefunden zu haben, vor allem wenn sich die einzelnen Sätze am Ende zu einem überzeugenden Ganzen fügen.
Welche Art von Büchern übersetzen Sie besonders gerne und gibt es Bücher, die Sie ungerne übersetzen würden?
Am liebsten übersetze ich Bücher, die mich persönlich weiterbringen und mir auch im dritten, vierten und fünften Durchgang noch etwas geben. Als Übersetzerin lese ich Texte ja mindestens vier-, manchmal bis zu achtmal, da kann einem ein Text schon mal auf den Geist gehen. Bücher, die es schaffen, ihren Reiz so lange zu bewahren, sind für mich große Literatur.
Wenn mich ein Buch allerdings inhaltlich nicht reizt oder mich der Stil nicht anspricht, lasse ich lieber die Finger davon. Abgesehen davon, dass ich mich dann ziemlich quälen würde, fände ich es dem Text gegenüber unfair. Erfahrungsgemäß haben auch wir Literaturübersetzer so unterschiedliche Geschmäcker, dass jedes Buch den richtigen Übersetzer/die richtige Übersetzerin findet – und auch verdient.
Sie übersetzen ja nicht nur Bücher aus dem Norwegischen, sondern auch aus dem Französischen. Welche Herausforderungen bringt das Übersetzen aus zwei so unterschiedlichen Sprachen mit sich?
Zum einen muss man sich natürlich in zwei verschiedenen Ländern auf dem Laufenden halten, um zu wissen, was dort gerade passiert und diskutiert wird, was angesagt ist und welche neuen sprachlichen Entwicklungen es gibt. Zum anderen erlebe ich die Arbeit aus zwei verschiedenen Ausgangssprachen aber auch als sehr bereichernd. Meine Arbeitssprache ist das Deutsche, und manchmal hänge ich bei Übersetzungen aus einer Sprache irgendwann fest, kann mich gedanklich nicht von bisher bewährten Strukturen freimachen. Da hilft es, wenn ich beim Übersetzen aus einer anderen Sprache plötzlich Lösungen finde, auf die ich sonst nicht gekommen wäre. Das Französische ist z.B. vielfältiger und daher inspirierender, wenn es um Flüche und Kosewörter geht. Dafür hat das Norwegische in seiner oft minimalistischen Strenge einen disziplinierenden Effekt, der sich bei der Übertragung blumiger französischer Texte positiv auswirken kann.
An welchem norwegischen Buch arbeiten Sie momentan und worum geht es darin?
Gerade sitze ich an Dag Solstads Buch mit dem originellen Titel „16.07.41“. Der Titel verweist auf das Geburtsdatum des Autors und schürt im Leser die Erwartung an einen autobiographischen Text. Wenig überraschend macht sich der Autor darin auch zur Romanfigur. Es ist ihm jedoch keineswegs daran gelegen, seine Lebensgeschichte zu erzählen, sondern Selbstreflexionen und persönliche Erlebnisse in einem fiktionalen Werk zu verarbeiten. 16.07.41 spielt mit den Grenzen des Genres Roman. So kommentiert der Erzähler in Fußnoten den Erzähltext, was man gemeinhin eher aus der Wissenschaftsliteratur kennt. Die Fußnoten variieren in ihrer Länge und enthalten verworfene Textpassagen, metapoetische Kommentare, aber auch Zusatzinformationen und Anekdotenhaftes.
Vor kurzem haben Sie in Zusammenarbeit mit Ihrer Kollegin Nora Pröfrock Carl Frode Tillers Begynnelser (dt. Der Beginn, btb Verlag) übersetzt. Wie entstehen solche Zusammenarbeiten, wie gestalten sie sich konkret und was sind deren Vor- und Nachteile?
Nora Pröfrock habe ich vor Jahren bei einem Übersetzerseminar kennengelernt, wo ich ihr großes übersetzerisches Talent aus nächster Nähe bestaunen konnte. Folglich war es quasi nur eine Frage der Zeit, bis es zu einer Zusammenarbeit kommen musste. Als ich für das Buch von Carl Frode Tiller aus Zeitgründen eine Mitübersetzerin gesucht habe und Nora gerade Kapazitäten frei hatte, war ich sehr glücklich, sie für das Projekt zu gewinnen. Das Buch ließ sich gut aufteilen, was bei belletristischen Büchern keineswegs zwingend ist. Wir haben beide einen in sich geschlossenen Teil übersetzt und hinterher gegengelesen. Der Vorteil beim gemeinsamen Übersetzen ist, dass man bei Fragen nicht allein ist und sich gegenseitig anspornen kann, der Nachteil, dass man mehr als die halbe Arbeit hat bei nur halber Bezahlung.
Sie waren im Mai dieses Jahres für zwei Wochen zu Gast im Übersetzerhotel in Oslo. Was bedeuten Ihnen solche Aufenthalte in Norwegen?
Diese Frage in wenigen Sätzen zu beantworten, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich hatte vor dem Aufenthalt, den mir NORLA mit finanzieller Unterstützung des Außenministeriums ermöglicht hat, gewisse Erwartungen, die jedoch dermaßen übertroffen wurden, dass ich mich hier kaum kurzfassen kann. Ich will es trotzdem versuchen: Der zweiwöchige Aufenthalt hat mir die Möglichkeit beschert, Autoren und Verlagsmitarbeiter zu treffen, kulturelle Veranstaltungen zu besuchen, Streifzüge durch Oslo zu unternehmen, sozusagen auf den Spuren meiner Autoren zu wandeln, deren Bücher in Oslo spielen, zwei Wochen am Stück Norwegisch zu sprechen und zu hören, mir norwegische Gepflogenheiten wieder in Erinnerung zu rufen, den Nationalfeiertag mitzuerleben, neue und spannende Kollegen kennenzulernen (wir waren insgesamt vier Stipendiaten, die in den Genuss des Übersetzerhotels kamen) und last, but not least, einen Arbeitsplatz bei NORLA zu nutzen, wodurch ich aus nächster Nähe miterleben konnte, wie umfassend die Vorbereitungen des Gastlandauftritts tatsächlich sind. Kurzum: Ich kann allen Kollegen einen solchen Aufenthalt nur dringend ans Herz legen!
Gibt es ein norwegisches Wort, von dem Sie sich wünschen, dass es auch im Deutschen existieren würde? Und wenn ja, warum?
Es gibt viele norwegische Phänomene, die man im Deutschen kaum adäquat wiedergeben kann, weil sie in der deutschen Lebenswelt so nicht vorkommen. Das gilt für Lebensmittel (geitost, lefser, kransekake, solbærtoddy, prim, rømmegrøt), aber auch für Ereignisse und Dinge wie russefeiring, dugnad, niste, vinmonopol usw. Ganz besonders schwierig sind aber auch Wörter, die ganz vieles in sich vereinigen, wofür es im Deutschen keine eindeutige Entsprechung gibt, z.B. slå ut med armene, å være oppgitt. Wenn ich einen Wunschzettel an den Wörterweihnachtsmann richten dürfte, dann stünden diese Wörter ganz oben.
Was machen Sie, wenn Sie gerade mal nicht an Übersetzungen arbeiten?
Zum Ausgleich mache ich gerne Sport. Ich spiele seit vielen Jahren Volleyball und brauche zum Auftanken bei intensiven Übersetzungsphasen Bewegung. Abgesehen davon bin ich ein geselliger Mensch und freue mich über Kontakt. Idealerweise bewege ich mich daher zusammen mit Freunden: auf dem Fahrrad, zu Fuß oder in der Halle mit Ball.
Ihr Übersetzerkollege Paul Berf, der Ihnen den Staffelstab weiterreicht, möchte gerne von Ihnen wissen, was Ihnen die Bücher Per Pettersons und die Arbeit an seinen Büchern bedeuten?
Den Autor Per Petterson habe ich im Rahmen eines Studienaufenthalts in Oslo in den 90er Jahren entdeckt und war glücklich, als ich dem Carl Hanser Verlag 1997 seinen Roman „Sehnsucht nach Sibirien“ (Til Sibir) empfehlen konnte. Dieser Roman war zugleich mein Debüt als Literaturübersetzerin. Entsprechend habe ich zu Per Petterson und seinen Büchern ein ganz besonderes Verhältnis.
Kennengelernt habe ich den Autor dann bei der Arbeit an seinem nächsten Roman Im Kielwasser. Dazu haben wir uns in Oslo in der Buchhandlung verabredet, vor deren Tür der Roman beginnt. Per Petterson hat mich anschließend zu den verschiedenen Schauplätzen des Romans mitgenommen, und ich habe einen sehr lustigen und unterhaltsamen Nachmittag mit ihm verbracht. Da ich eher mit einem schwermütigen Autor gerechnet hatte, war das für mich eine große Überraschung.
Pettersons Texte sind wahre Juwelen der Literatur mit einer ungeheuren erzählerischen Kraft und einprägsamen Szenen, die noch lange nachhallen. Dem Autor kann ich außerdem blind vertrauen. Jedes Wort hat seine Bedeutung, jedes Wort hat seine Berechtigung. Auch wenn die Texte nicht einfach zu übersetzen sind, eine Petterson-Übersetzung ist für mich immer ein Highlight, ein bisschen wie Heimkommen und dabei doch Neues erleben.
An welchen Kollegen möchten Sie die Übersetzerstafette weiterreichen und was möchten Sie gerne von ihm wissen?
Gerne reiche ich die Übersetzerstafette an Hinrich Schmidt-Henkel weiter.
Hinrich-Schmidt-Henkel habe ich ganz am Anfang meiner Übersetzerlaufbahn kennengelernt, und zwar bei einem Seminar für Nachwuchsübersetzer aus dem Französischen. Er hat mich damals zu meiner großen Überraschung mit „Velkommen hit“ begrüßt. Das hatte etwas sehr Verbindendes. Was ich im Rahmen des Seminars von ihm gelernt habe, hat mich bei meiner weiteren Arbeit sehr geprägt. Seitdem sind wir uns in unterschiedlichen Kontexten immer wieder begegnet. Hinrich ist sozusagen eine Konstante in meinem Übersetzerleben.
Meine Frage an Hinrich: Du übersetzt schon seit vielen Jahren aus mehreren Sprachen. Gibt es etwas, was dich in diesem Beruf noch heute zu überraschen vermag?