Jon Fosse hat in der für ihn typischen „langsamer Prosa“ ein neues, großes Werk der Erzählkunst geschaffen: „Septologie“ heißt es, umfasst sieben Bücher, verteilt auf drei Bände. Es ist somit umfangreicher als die „Schlaflos“-Trilogie der 1990er Jahre und wartet mit einem beeindruckenden Figurenensemble auf.
Im Herbst 2019 erscheint der erste Teil gleichzeitig in verschiedenen Sprachen, unter anderem auf Deutsch beim Rowohlt-Verlag. Dieser erste Band zählt 600 Seiten, insgesamt dürfen wir uns auf 1550 Seiten Fosse-Prosa freuen. Ohne einen einzigen Punkt.
„Ja, ich habe ein paar Jahre an dieser langsamen Prosa gebastelt, und nur weil es keinen Punkt gibt, bedeutet es keineswegs, dass sie schwer zu lesen sei. Ich finde, es fließt ganz gut. Es sind sieben große Textblöcke, bestehend aus Repliken. Aber es fließt. Ich denke nicht, dass der Leser das als einen komplizierten Text wahrnehmen könnte“, erklärt Fosse.
Frankfurt 2019
Wir treffen den Schriftsteller und wollen mit ihm über die Septologie, Norwegen als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse, Literaturpreise und über seine Arbeit sprechen.
Fosse findet es großartig, dass Norwegen als Gastland in Frankfurt auftreten wird:
„Ich freue mich sehr darüber. Es bedeutet viel für die norwegische Literatur und für norwegische AutorInnen.“
Ein anderer preisgekrönter norwegischer Schriftsteller, Jan Kjærstad, äußerte sich im Sommer in einem vieldiskutierten Beitrag in der größten norwegischen Tageszeitung Aftenposten kritisch zum Gastlandauftritt: Er sei überbewertet, der Medienrummel sei am nächsten Tag bereits vergessen und der Wert sei „gleich Null im langen und unbarmherzigen Lauf der Wirklichkeit“.
„Wer glaubt denn daran, dass es auf dem deutschen Markt Platz für 80 Autoren der norwegischen Belletristik gibt?“, schrieb Kjærstad in Aftenposten. „Ist ja schön und gut, wenn man übersetzt wird, aber man muss auch genug Aufmerksamkeit bekommen, eine Leserschaft für sich gewinnen. In den meisten Fällen landet man bei einem Verlag in der Peripherie und verkauft hundert Exemplare.“
Jon Fosse teilt Kjærstads Meinung nicht.
„Ich habe mich sehr mit NORLA (Norwegian Literature Abroad) gefreut, als die Entscheidung für Norwegen fiel. Ihr Jubel ist quasi auf mich übergesprungen. Und was soll daran falsch sein, ein paar AutorInnen ins Rampenlicht zu rücken, das kann ich nicht nachvollziehen“, sagt Fosse.
„Selbstverständlich brauchen alle Autoren, egal ob sie jung sind, oder schon etabliert, jede Unterstützung, die sie kriegen können. Aber das steht doch in keinem Widerspruch zu dem Gastlandauftritt. Als stünde Altenpflege in einem Widerspruch zum Theater, oder wie?“, wundert sich der Schriftsteller.
„Aber ich muss Kjærstad in einer Hinsicht recht geben: Ich finde es furchtbar, als Autor in diesem Chaos der Buchmesse zu sein.“ Er lacht. „Ich war schon zwei Mal dort. Beim ersten Mal wusste ich noch nicht, worauf ich mich einlasse. An das zweite Mal kann ich mich nicht recht erinnern. Aber jetzt bin ich vorbereitet“, sagt er und macht Andeutungen, dass er dieses Mal für einen Tagesausflug nach Frankfurt auf die Buchmesse reisen wird.
Fosse weist auch darauf hin, wie wichtig Deutschland für norwegische AutorInnen ist. Viele sind ins Deutsche übersetzt worden und bei kleinen oder großen Verlagen erschienen.
„Für mich war tatsächlich Frankreich das Sprungbrett, aber das war rein zufällig. Es wird unglaublich viel ins Deutsche übersetzt. Kleine Verlage mit kleinen Auflagen, na und, immerhin bekommst du jedes Buch, nach dem du suchst, in irgendeiner Bibliothek. Auf Deutsch.“
Die Septologie
In Fosses Septologie lernen wir Asle kennen, ein alternder Maler, der sich an einen Ort namens Dylia zurückgezogen hat. Er lebt seit langem abgeschieden und hat die Frau verloren, die er einst liebte. Doch er spricht immer noch mit ihr. Außerdem hat er einen Freund, der in der Stadt wohnt. Viele werden die Ortsnamen aus der Schlaflos-Trilogie wiedererkennen, das fiktive Dylja und die Stadt Bjørgvin, die sehr an Bergen erinnert. Und dieser Freund wohnt also in Bjørgvin.
„Sein Freund heißt auch Asle“, berichtet Fosse und lächelt. „Auch er ist Maler und sie haben auch sonst viel gemeinsam. Sie ähneln sich und sind doch sehr verschieden. Einiges passt zusammen, anderes wieder nicht.“
Die Leser dürfen sich auch darauf freuen, den Nachbarn von Dylja-Asle kennenzulernen: Åsleik. Er ist Fischer und besitzt ein Fischerboot, eine Schwester hat er auch, Guro heißt sie, eine von zwei Guros in Fosses Prosawerk. Sie wohnt in Instefjord. Am Heiligen Abend beschließen Asle und Åsleik nach einigem Hin und Her, auf dem Fischerboot zu Guro zu fahren und bei ihr Weihnachten zu feiern.
„Sie will gemeinsam mit Asle und Åsleik die Feiertage verbringen, aber Asle hält normalerweise nichts davon. Abgesehen von ausgerechnet diesem Weihnachten…“
Ob Asle Erfolg als Maler hat?
„Er ist ein guter Künstler, hat aber keinen Namen da draußen in der Kunstwelt. In seinem Selbstbild ist er gut genug. Und er hat einen Galleristen in Bjørgvin, der ihm hilft.“
Schreibzwang
Der preisgekrönte Autor schreibt rund um die Uhr, er beginnt um fünf Uhr morgens. Jeden Tag. Entweder in der Künstlerresidenz Grotten, in seinem Haus in Frekhaug nördlich von Bergen oder in seinem Haus bei Wien.
„Ich habe mir nie den Luxus einer sogenannten Schreibblockade gegönnt“, sagt Fosse. „Ganz im Gegenteil – ich leide unter einem Schreibzwang. Ich schreibe und schreibe. Es kommt einfach so zu mir, die Texte kommen zu mir und ich werde mit dem Schreiben immer weitermachen, um in diesem Leben zurechtzukommen.“
Als er 1995 seinen ersten Roman Melancholie 1 über den Maler Lars Hertervig vollendete, passierte trotzdem etwas.
„Ja, ich war irgendwie schwermütig. Hatte keine Lust mehr zu schreiben. Da fing ich mit Dramen an. Und merkte, wie viel leichter mir das fiel. Auf das eine Stück folgte das nächste, und sie wurden gespielt und es lief wie von selbst. Und das tut es irgendwie immer noch.“
Warum hat er sich jetzt von der Dramatik abgewandt?
„Ich dachte, ich habe als Dramatiker nichts Neues mehr zu bieten. Und ich wollte versuchen, zu meinem Ursprung zurückzukehren. In den 80ern habe ich mit Prosa und Lyrik begonnen und ich habe hier und da mal einen Abstecher in die Prosa gemacht, als ich mit meinen Dramen beschäftigt war, aber nicht in die Lyrik. Das werde ich jetzt nachholen.“
Nachdichtung
Neben seinen eigenen Dichtungen und neuer Prosa beschäftigt Jon Fosse sich mit Übersetzungen und Nachdichtungen. Eine neue Ausgabe von Peer Gynt wird bald in Buchform erscheinen, nachdem es am Norske Teatret zum wiederholten Male aufgeführt wird. Es wurde schon für Robert Wilsons Inszenierung 2004 am selben Theater umgedichtet, jetzt aber nochmals überarbeitet.
„Außerdem übertrage ich Georg Trakl ins Neunorwegische. Olav H. Hauge hat einige seiner Gedichte bereits übersetzt, ich habe viele von ihnen gelesen, als ich jung war. Jetzt werde ich Trakls Sammlung Sebastian im Traum übersetzen.“
Neben dem österreichischen Lyriker übersetzt Fosse mehrere Klassiker für den kleinen westnorwegischen Verlag Skald. Unter anderem James Joyces Die Toten, aber auch Werke von Beckett und Kafka. Zurzeit arbeitet Fosse an Der Prozess. Auch Sagaliteratur hat er für Skald ins Neunorwegische übertragen.
Der Nordische Rat – und Nobel
Jon Fosse erhielt den Literaturpreis des Nordischen Rats im Jahre 2015, worüber er sich sehr freute. Hatte der Preis eine besondere Bedeutung für sein weiteres Schaffen?
„Nein. Das Schreiben hat seinen eigenen Platz. Es wird von äußeren Faktoren nicht beeinflusst. Vielleicht von Alkohol, ja, aber nicht von guter oder schlechter Kritik, oder von Preisen oder Nicht-Preisen. Das spielt keine Rolle. Ich habe mich über die Auszeichnung gefreut, wäre aber auch nicht enttäuscht gewesen, wenn ich ihn nicht bekommen hätte. Meine Dramen haben soviel Anklang gefunden, das wäre total in Ordnung gewesen. Ich war aber schon einmal nominiert, mit Morgen und Abend, und als der Preis damals dann an Jan Kjærstad ging, und nicht an mich, war ich schon enttäuscht. Ich bin selten von etwas enttäuscht, aber ich fand, das war ein wirklich guter Roman. Der Meinung bin ich immer noch.“
Fosses Name wird jedes Jahr erwähnt, wenn sich die größte aller Preisverleihungen nähert. Rechnet er sich Chancen aus?
„Da kann ich nichts zu sagen. Ich weiß ja nicht mal, ob ich überhaupt ein Kandidat bin, oder ob Ihr das nur schreibt. Im besten Fall bin ich dabei, und da halte ich mich mit Kommentaren zurück“.
Ähnlichkeiten mit dem Leben
Ab nächstem Herbst können wir alle über das Leben des alternden, isolierten Künstlers lesen, der im stillen Kämmerlein mit seinen Projekten beschäftigt ist. Und da Jon Fosse auch so ein, wenn auch nicht alternder, aber immerhin ein großgewordener Künstler ist, der im stillen Kämmerlein an seinen Projekten tüftelt, liegt die Frage nahe, wie viel von Jon Fosse in diesem Asle steckt.
„Nichts“, lautet die Antwort des Autors. „Und das meine ich so. Die Leute werden es mir nicht glauben, aber es ist wahr. Es kann Ähnlichkeiten mit meinem Leben haben, aber auch mit Deinem. Und seinem und ihrem. Ich kann nicht über mein eigenes Leben schreiben. Über Landschaften, Erfahrungen und Gedanken, klar, aber sie sind Fiktion. Ich schreibe über das Leben in Westnorwegen, aber es ist Fiktion. Man findet wohl hier und da Ähnlichkeiten, wenn ich mit einem Text fertig bin, aber es sind vor allem Ähnlichkeiten mit Westnorwegen im Großen und Ganzen.“
Wie sehen seine kommenden Projekte aus, wenn er .... … einen Punkt… unter die Septologie gesetzt hat.
„Ich mache keine Pläne für neue Projekte. Kann auch sein, dass es wieder Theater wird, aber ich weiß es nicht.Dann muss das Stück zu mir kommen. Ich habe ein paar kürzere Prosatexte verfasst, daraus wird wohl früher oder später ein Buch werden.
Außerdem will ich gern mehr übersetzen. Wie gesagt sitze ich gerade an Trakl und Kafka. Und ich schreibe Gedichte. Das Schreiben kommt zu mir. Ich hatte auch nie daran gedacht, jemals fürs Theater zu schreiben. Es ist einfach passiert. Wie bei der Trilogie“, erzählt Fosse, der auch seine zwei größten literarischen Vorbilder mit ins Bild bringt: „Tarjei Vesaas und Samuel Beckett. Ich schreibe mit ihnen und ich schreibe gegen sie an. Mein Schauspiel Da kommt noch wer ist eine Antwort auf Becketts Warten auf Godot. Ich schreibe nicht wie sie. Aber auch ich suche nach ‚der Seele im Satz’“. Die findet man sowohl bei Vesaas als auch bei Beckett.“
Aus dem Norwegischen von Karoline Hippe
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