Von der Idee zum Verkaufsschlager: John Kåre Raake

Nachrichten
Feature
Geschrieben von Leif Gjerstad, BOK365

Der Kampf um den Nordpol hat begonnen! Acht deutsche Verlage waren bei der Auktion der Rechte für John Kåre Raakes Arktis-Thriller "The Ice" dabei. Veröffentlicht wurde Thriller 2019 im Goldmann Verlag.

John Kåre Raake. Foto: Julie Pike

Die Hauptfigur Anna Aune schwebte mir schon länger vor, doch ich konnte sie nirgendwo unterbringen. Als die Idee eines Thrillers, der in der dunklen Eiswüste um den Nordpol spielt, Form annahm, wurde mir klar, dass ich endlich einen Ort gefunden hatte, der zu der früheren Elitesoldatin passte“, erzählt John Kåre Raake über die Entstehung von The Ice (übersetzt von Ulla Ackermann, Goldmann).

Mit seiner Erfahrung aus der Werbebranche und als Drehbuchautor der norwegischen Katastrophen-Blockbuster Die Todeswelle und Das Beben sah der 56-jährige die Figur zunächst nicht zwischen zwei Buchdeckeln. Anna Aune sollte auf die große Leinwand! Nach ausgiebiger Recherche über den Nordpol und arktische Verhältnisse entwarf Raake ein Konzept für einen Thriller und präsentierte es mehreren Filmproduzenten.

„Aber ich fand keine Resonanz. Vielleicht stand das Konzept zu sehr zwischen zwei Stühlen, außerdem wäre ein solches Filmprojekt schwierig zu finanzieren gewesen“, sagt Raake.

Kinoschlager

Hier hätte die Geschichte von The Ice enden können, wenn nicht Die Todeswelle gerade Premiere gehabt und sich als Schlager an den Kinokassen erwiesen hätte. Raake hatte noch Zeit bis zum nächsten Drehbuch und nutzte die Gelegenheit, um weiter an dem Thriller über Anna Aune am Nordpol zu arbeiten.

„Ich habe schon immer gern geschrieben, und nach der Arbeit an dem Drehbuch verspürte ich das Bedürfnis, ein längeres Werk zu verfassen in dem ich mich von der Dominanz der Dialoge befreien konnte, die in Drehbüchern herrscht. So blieb auch mehr Raum für die Entwicklung der Charaktere und für innere Monologe“, erklärt Raake. Das gelang ihm so gut, dass The Ice nicht bloß einen norwegischen Verlag fand, sondern auch eine Auktion unter internationalen Verlagen auslöste, als das Buch voriges Jahr auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt wurde.

Acht deutsche Verlage kämpften um die Rechte, und der Sieger bezahlte einen sechsstelligen Betrag – für das Werk eines Debütanten, das noch nicht einmal in Norwegen erschienen war.

Traumatisierte Elitesoldatin

The Ice handelt von der traumatisierten Ex-Elitesoldatin Anna Aune, die mit einem 73-jährigen exzentrischen Wissenschaftler auf einem Luftkissenboot zu einer Arktis-Expedition aufbricht. Sie wollen sich mit dem Packeis treiben lassen und dabei die Auswirkungen des Klimawandels dokumentieren. In der Nähe des Nordpols erhellt plötzlich eine Signalrakete die tiefschwarze Polarnacht und zwingt sie, den Kurs zu ändern. Sie führt sie zur chinesischen Forschungsstation „Eisdrache“, wo sie ein schrecklicher Anblick erwartet. Im Labor der Station liegen gefrorene Leichen, die auf einen Unfall hindeuten. Doch weitere Tote mit Einschusswunden in der Stirn bezeugen Schlimmeres. Sie haben es mit einem Massenmörder zu tun.

Doch nicht nur das. Gewaltige Naturkräfte verschärfen die Lage. Ausgehungerte Eisbären, Methangas-Explosionen, aufreißendes Packeis und ein bitterkalter Wintersturm bilden das klaustrophobe Setting des Thrillers, in den aktuelle Weltpolitik einfließt. Denn die chinesische Forschungsstation existiert nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse. Die Großmächte USA, Russland und China wollen sich verstärkt in der Arktis positionieren, um Kontrolle über die wertvollen Ressourcen zu erlangen, die der Klimawandel freigibt. Und in diesem Kampf spielen Menschenleben keine Rolle.

Dicht an den Naturgewalten

Dass die Handlung von Action getrieben wird, schreibt Raake seiner Filmerfahrung zu: „Als Werbefachmann und Drehbuchautor habe ich gelernt, Geschichten zu erzählen und visuell zu denken, was sich auch auf meine literarische Tätigkeit auswirkt. Ich mag Geschichten mit viel Action, nicht nur im Film“, meint Raake. Sowohl in Die Todeswelt als auch in Das Beben und The Ice spielen Naturgewalten eine wichtige Rolle.

Woher kommt diese Faszination?

„Das hängt sicher mit meiner Herkunft zusammen. Ich bin an der Küste Vestlands aufgewachsen, wo man dicht an den Naturgewalten lebt. Und die Natur kann gewaltsam sein. Dass wir heute immer mehr extremes Wetter erleben, ist eine Konsequenz von allem, was wir der Umwelt angetan haben. So dramatisch dies für die Menschheit ist, für einen Geschichtenerzähler bietet es jede Menge Stoff“, antwortet Raake.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass die Filmidee, die zum Buch wurde, nun mit großer Wahrscheinlichkeit

auch zu einer Fernsehserie wird. Für John Kåre Raake bedeutet der Erfolg von The Ice auf jeden Fall größere Freiheit.

„Mein Talent besteht darin, dass ich Geschichten finde, und dank zwanzig Jahren in der Werbebranche kann ich Ideen weiterentwickeln. Es wird bestimmt mehrere Bücher mit Anna Aune geben – das nächste vielleicht Ende 2020 – und ich werde weiterhin für Film und Fernsehen arbeiten. Aber ich habe gelernt, eine Idee dort zu verwirklichen, wo sie am ehesten hingehört. Sei es zwischen zwei Buchdeckeln oder auf der Leinwand“, resümiert John Kåre Raake.

Aus dem Norwegischen von Frank Zuber.

AutorenKriminalliteratur