«Wenn ich sterbe, bin ich sicher bekannt wie ein ‘one hit wonder‘!» sagt Moddi zum Publikum, bevor er „House by the sea“ spielt. Die Zuhörer kichern. Selbst wenn wir seinen beliebtesten Song mögen, wissen wir, dass noch mehr kommt: eine Stunde mit wunderbaren, emotionalen, mitreißenden und unvergesslichen Songs aus seinem neuesten Album „Unsongs“.
Das Album stellt verbotene Songs aus der ganzen Welt in typischem „Moddiesque“-Stil vor. Oder wie er selbst sagt: „Wie sich Pussy Riot angehört hätte, wenn sie auf Senja aufgewachsen wären.“
Die Geschichte hinter dem Gespräch: Inga Rystad führte dieses Interview mit Moddi schon vor zwei Jahren. Sie traf ihn am 5. Mai 2017 nach einem Konzert in Berlin. Damals sprach Inga Rystad, zu dem Zeitpunkt Studentin an der Uni Potsdam, Moddi nach seinem Auftritt einfach an. Die beiden Nord-Norweger (Moddi kommt von der Insel Senja, Inga aus Lakselv) haben sich blendend verstanden, und das Gespräch endete letztendlich in einem Interview für die Studentenzeitung „Norwegern“ (mit „r“). Weil die Zeitung dann aber eingestellt wurde, ist das Gespräch, wie es manchmal so ist, nie erschienen. Bis jetzt – den Tag des diesjährigen Berliner Auftritts von Moddi im legendären Club SO36 (Informationen zur Veranstaltungen finden Sie hier).
Ich treffe Moddi nach dem Konzert. Vor unserem Gespräch warte ich hinter einer Gruppe von Frauen. Sie haben einen weiten Weg auf sich genommen, um den Künstler und Masterstudenten von (der Insel) Senja zu hören. Moddi spricht Deutsch mit ihnen. Auch wenn es schon nach 23 Uhr ist und er am nächsten Morgen weiterreist: nur noch 13 Tage, dann muss er seine Masterarbeit abliefern. Und damit nicht genug: er schreibt außerdem gerade ein Buch. Trotzdem nimmt er sich Zeit.
Wie ich gehört habe, ist Deutschland für norwegische Künstler ein sehr interessanter Markt. Auch du trittst sehr oft in Deutschland auf. Warum?
Ganz einfach: Die Deutschen begeistern sich sehr für norwegische Musik. Fast alle norwegischen Musiker treten bei ihren Tourneen im Ausland hier auf. Das ist unser größter Exportmarkt (um es mal so ein bisschen „wirtschaftspolitisch“ auszudrücken). Doppelt so groß wie der zweitgrößte Markt für norwegische Musiker, England.
Und du musst nicht mal auf Deutsch singen, so wie die Wenche?
UND ich muss nicht mal auf Deutsch singen! Das ist wirklich klasse: wenn wir hier Konzerte haben, besonders in Norwegen, also bei Unsongs-Konzerten, sind den Zuhörern die Texte völlig egal. Die sind gewöhnt: wenn ein Künstler den Mund aufmacht und ein englischer Song ist dran, dann ist das Pop-Musik, und Pop-Musik ist definitionsgemäß gehaltlos. Und ich bin Pop-Musiker. Also, wenn wir diese Auftritte in Norwegen haben, dann kommen die Leute und sagen „ah, das war so toll, und ich mochte besonders die Stellen, wo die Geige so und so gespielt hat.“ Und wenn du diese Songs in Deutschland spielst mit Tränen in den Augen, weil die Leute bei den Texten und den Geschichten (dahinter) genau hingehört haben. Hier erreichen die Texte die Zuhörer. Noch viel besser ist es in Holland, da sprechen die Leute noch besser Englisch. Und auch wenn du es nicht glaubst: am besten ist es in Osteuropa! Da sind die Leute an politische Songs gewöhnt. Tschechien, Ungarn, Polen: da sind die Leute dran gewöhnt, dass du eine Botschaft hast, wenn du den Mund aufmachst. In Norwegen ist man das ja nicht mehr gewöhnt.
Das habe ich noch nie so gesehen. Nein, in Norwegen gibt es nicht so viele Künstler, die politisch sind.
Aber so merkwürdig ist das gar nicht, denn wenn du einen politischen Song schreibst, wird er im Radio nicht gespielt, weil die ja nichts spielen können, was jemanden verletzt. Also ist es für mich ganz toll, in Deutschland so eine Art Heimvorteil zu haben. Aber nicht nur wegen der Texte. Die Leute hier sind richtig „skandophil“.
Ja, das habe ich gemerkt…
Ja, klar merkt man das. Dass die Leute zu den Konzerten kommen und auf Norwegisch sagen: «Hallo, das war super. Ich war schon mal in Norwegen. In Drammen!» Und wenn ich diesen Witz über Hurtigruten mache, dann verstehen sie ihn.
Und sie kriegen mit, dass du «Hurtigruten» mit deutschem Akzent sagst?
Nein! So weit sind sie noch nicht.
Über eine Sache denke ich schon die ganze Zeit nach. Ich mag „Unsongs“ sehr, aber du bist der einzige Künstler, den wir alle drei – also ich, meine Mama und meine Oma – mögen. Ich als „Nordlending“ spüre irgendwie Deine Songs im ganzen Körper – zum Beispiel „Sola“, „Nordnorsk julesalme“ oder „Kirkegård ved Havet». Ich finde, diese Songs handeln alle von typisch „nord-norwegischen Situationen“ und ich habe sie jedes Mal vor Augen, wenn ich die Songs höre. Spielst du sie oft in Deutschland?
Ja. Gerade diese ganzen Texte sind ja nicht von mir, aber sie sind so schön, dass sie es verdienen, gehört zu werden. Bevor ich anfing, Songs von Helge Stangnes in mein Programm aufzunehmen, hatte ich noch nie von ihm gehört. Und auch Ola Bremnes, er hat so unglaublich gute Songs, er hat es verdient, dass man ihn bekannt macht. Und Trygve Hoff, der hat ja wohl hauptsächlich Quatsch, aber „Nordnorsk julesalme“ ist toll. Wir spielen immer mindestens zwei norwegische Songs, egal wo wir auftreten, weil viele nur zu den Konzerten kommen, um Norwegisch zu hören. Ich war auf nordischen Messen in Italien, auf einem skandinavischen Festival in Chile und Argentinien. Norwegische Musiker vertreten die „Marke Norwegen“ auch in Indien und China.
Darfst du nach der Veröffentlichung von «Unsongs» auch in China auftreten?
Nein, habe ich nicht. Aber nach Indien darf ich! Ich darf auch nicht mehr nach Israel. Und der Libanon hat mich ausgesperrt wegen „A Matter of Habit“, und genauso Israel als Anhänger des Boykotts. Vor 1 ½ Monaten [Anm. d. Red.: Mai 2017] hat man dort ein Gesetz eingeführt, mit dem man Anhängern des Boykotts den Zutritt zum Land verwehrt.
Und was ist ihre Definition von Anhänger des Boykotts?
Tja, frag mich – da musst du wohl sie selbst fragen. Das steht im Gesetz. Aber ich glaube mal, dass ich die Voraussetzungen dafür erfülle.
Ja, das sehe ich wohl genauso.
Aber wie gesagt, normalerweise spielen wir mindestens zwei norwegische Songs, aber wir möchten ja auch, dass die Leute die Texte verstehen.
Und die Leute in Deutschland können oft ein bisschen Norwegisch?
Ja, ich kenne eine Menge Leute, die die Songs gehört haben und dann die Texte in Google Translate nachgesehen haben. Weil sie da nicht weiterkommen sind, haben sie sich entschieden, auf die Lofoten zu reisen, um Norwegisch zu lernen!
Ja, das kann ich mir (so richtig) vorstellen. Wenn du den Songtext von „Sola“ in Google Translate einfügst, kommt wohl nicht so viel dabei raus.
Nein, das geht nicht. Eigentlich sollte man meinen, dass das für viele ein Hinderungsgrund ist, aber für die meistens ist es eher Motivation. Die kommen einfach! Die reisen nach Valdres oder machen ein, zwei Monate mit dem Wohnmobil in der Finnmark Urlaub. Die Leute sind verrückt! Jeden Sommer rufen mich sehr viele an und wollen, dass ich ihnen helfe, herauszufinden, wo Ausa ist [Anm. d. Red.: aus Mannen i Ausa], weil sie da hinmöchten. Der Punkt ist, die Leute fahren total auf das Skandinavische ab. Nicht nur auf das Norwegische, sondern das Skandinavische.
Aber wie ist das im Ausland mit Deinen politischen Texten? Ich habe selbst erlebt, dass der Israel-Palästina-Konflikt für Deutsche ein ziemlich sensibles Thema sein kann?
Ja, das stimmt. Als Honningbarna 2011 das Album «La Alarmene Gå» herausbrachten, strichen sie «Fri Palestina» aus der deutschen Version. Also, das ist schon heikel. Aber gleichzeitig merkt man, dass in Deutschland solche Dinge mehr und mehr ins Bewusstsein rücken. Seit dem Zweiten Weltkrieg war das Thema mit sehr viel Scham verbunden, aber das ändert sich gerade. Ich erinnere mich an meine erste Tournee 2010. Es war sehr schwierig, diese Dinge anzusprechen. Jetzt merke ich, dass sich da etwas entkrampft. Die Leute fangen an, genauer hinzuschauen. Sicher hast du letzte Woche mitbekommen, wie der israelische Staatschef Benjamin Netanyahu aus einer Besprechung mit dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel stürmte, weil er eine NGO mit dem Namen „Breaking the Silence“ getroffen hatte. Ich glaube nicht, dass der deutsche Außenminister „Breaking the Silence“ vor 10 Jahren getroffen hätte. Also siehst du schon, dass sich das in Deutschland sehr schnell ändert, genauso wie es sich in Norwegen verändert. Die Leute sind immer besser informiert, und haben dadurch eine andere Perspektive nachdem in der letzten Zeit Rechtspopulisten auf der ganzen Welt Wahlsiege gefeiert haben. Das sind keine Einzelfälle und das hat auch für uns etwas zu sagen. Ich erlebe jedenfalls, dass es kein Tabu mehr ist, so einen Song zu singen.
Lass uns mal etwas das Thema wechseln: Letztes Jahr war meine Mutter auf einem Konzert von dir in Lakselv und da hast du erzählt, dass du in der Bibliothek warst und die Ortsgeschichte studiert hast. Was machst du in Deutschland, wenn du keinen Auftritt hast?
Ich liebe Lakselv, oder Lemmijoki [Anm. d. Red.: Lakselv auf Kvänisch]. Ich habe Lakselv sehr liebgewonnen.
Das muss ich unbedingt in meinem Artikel erwähnen, sonst glaubt das keiner.
Aber was mache ich in Deutschland, wenn ich nicht auftrete? Nicht so besonders viel. Ich schreibe. Ich habe niemanden, der sich um die Planung, die Buchhaltung oder den Papierkram kümmert. Ich bin bekannt genug, um in 20 Ländern auftreten zu können, aber immer noch so „klein“, dass ich alles selbst machen muss. Ich glaube, ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich zuletzt einen freien Tag in Deutschland hatte. Doch, einmal, als wir in Wiesbaden waren. Da tranken wir warme Milch in einem Café. Sehr spannender Tag. Wahrscheinlich saß ich die übrige Zeit im Hotelzimmer und arbeitete.
Hast du Tipps für andere norwegische Künstler, die in Deutschland mal einen Versuch wagen wollen?
Du musst nur eins: wiederkommen. Immer wieder. Bis jetzt hatten wir in Deutschland ungefähr genauso viele Auftritte wie letztes Jahr in Norwegen, vielleicht sogar noch mehr.
Da könntest du dir doch einfach überlegen, nach Deutschland zu ziehen?
Ja, ich hatte mir schon überlegt, mit meiner damaligen Freundin nach Lüneburg zu ziehen. Das ist eine Universitätsstadt, sie sollte dort ein Praktikum auf einem Biohof machen. 2011, in dem Jahr war der riesige Skandal mit E.coli-Bakterien. Du erinnerst Dich vielleicht: Deutschland importierte keine spanischen Gurken mehr, mehrere hundert Tonnen Fleisch wurden verbrannt und viele Menschen starben.
Jetzt mache ich mir aber große Sorgen, wo diese Geschichte noch hinführt….?
Es stellte sich heraus, dass das Bakterium von Bohnenkeimen von genau diesem Hof stammte. Also wurde der Hof verklagt und die Praktikantenstelle meiner Freundin gestrichen. Aber davor hatte ich mir tatsächlich überlegt, nach Deutschland zu ziehen! Aber zurück zu meinen Ratschlägen für andere norwegische Künstler: Versucht es einfach! Versucht es und schaut, was passiert. Das ist genau wie in Norwegen und auch woanders: Du musst an den besch….. Orten anfangen. Man spielt für 10 Leute, ist (dafür) 9 Stunden unterwegs und am Anfang ist es ein großes Gedöns. Genau so habe ich das auch gemacht. Mein erstes Konzert in Deutschland war im Haus 73 in Hamburg.
Das Interview wird von einem Deutschen unterbrochen, der uns 20 Minuten geduldig zugehört hat, ohne auch nur ein einziges Wort zu verstehen – und endlich hört er etwas, das ihm bekannt vorkommt: Ganz glücklich berichtet er, dass er den Eigentümer von Haus 73 kennt. Wir erfahren, dass er diesmal sogar aus Hamburg gekommen ist, um an dem Festival teilzunehmen, auf dem Moddi auftritt, dass er aber eigentlich nur gekommen ist, um Moddi zu hören.
Ja, für mich war das ein großer Erfolg. Es kamen 30 Leute! Am nächsten Tag waren wir die Vorgruppe einer dänischen Band in Berlin. Was für ein Start! Für mich ist das Tolle an Deutschland: ich habe einen Agenten, der nicht nur die ganze Zeit damit beschäftigt ist, Geld zu verdienen, sondern an mich und meine Musik glaubt – selbst wenn das Projekt schwierig zu verkaufen ist. Die Leute mögen keine politische Musik. Das Radio will sie nicht. Festivals wollen sie nicht in ihr Programm aufnehmen. Trotzdem ist mein Agent der Meinung, dass so ein Projekt wichtig ist, selbst wenn die Kosten für die Auftritte gerade so gedeckt sind. Das ist ungewöhnlich. Besonders in England. Da ist der Markt gnadenlos.
Wo hast du übrigens Deutsch gelernt?
Bei meiner Freundin. In der weiterführenden Schule hatte ich drei Jahre Deutsch, das war schon mal ein guter Anfang, aber dann hatte ich eine Zeitlang eine deutsche Freundin in Stuttgart und wir verständigten uns auf Deutsch.
Ich habe den größten Teil meiner Deutschkenntnisse aus den Harry Potter-Büchern und habe deswegen einen sehr merkwürdigen Wortschatz, so Begriffe aus der Zaubersprache und Namen von Fabeltieren. Du hattest dann vielleicht eine Menge deutsche Begriffe zum Thema „Liebe“ parat?
Ich habe sehr viel «Der Spiegel» gelesen, also spreche ich mehr so «Politik-Deutsch». Und dann versuche ich auch, in den Konzerten Deutsch zu sprechen. Im Norden ist das normalerweise nicht nötig. Da sprechen die Leute ja gut Englisch. Im Süden dagegen spreche ich normalerweise Deutsch. Da sprechen die Leute ja nicht so gut Englisch. Jedenfalls auf dem Land, wir treten ja manchmal auch außerhalb der Großstädte auf.
Hast du an ein Album „Unsongs 2“ gedacht?
Ja, das habe ich, aber daraus wird nichts. Ich muss etwas Anderes machen. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke: Dieses Erlebnis hat mich wirklich für den Rest meines Lebens verändert und es wird mir wohl unheimlich schwerfallen, wieder Songs zu schreiben. Ich bin ja eigentlich kein Musiker. In der weiterführenden Schule hatte ich Mathe und Physik als Schwerpunktfächer, ich habe einen Bachelor in Soziologie und meine Masterarbeit wird eine philosophische Studie über ein Ferrosilizium-Schmelzwerk. „Unsongs“ ist eher eine Dokumentation als ein Album. Mit Videos, einem Buch, Webseiten, Zeitungsartikeln, Podiumsdiskussionen… Ich habe sehr wenig Zeit für die Musik selbst aufgewendet. Bei jedem Album, das ich produziere, trete ich als Musiker immer mehr in den Hintergrund. Vielleicht mache ich ein paar Songs über Ferrosilizium, bevor ich weiterziehe. Aber eines ist sicher: Egal ob norwegische, deutsche oder englische Songs, ob gesellschaftskritisch oder Pop über das Haus am Meer - wir kommen wieder mal nach Deutschland!