Kronprinzessin und Literaturbotschafterin

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Geschrieben von Ove Sjøstrøm, Nora Steenberg, Vebjørn Rogne, BOK365

Als kleines Mädchen war Mette-Marit von Märchen fasziniert – ohne zu wissen, dass sie eines Tages selbst Prinzessin werden sollte.

I.K.H. Kronprinzessin Mette-Marit vor dem Literaturzug. Foto: Sabine Felber

Königlicher Besuch bei großen Ereignissen ist keineswegs ungewöhnlich. Aber Norwegens Kronprinzessin Mette-Marit wird nicht einfach nur vorbeischauen, um Glanz auf die Eröffnungsfeier zu werfen. Sie hat großes Interesse an Literatur und engagiert sich auch außerhalb der Messe für Projekte zur Förderung der Leselust.

Mette-Marit ist seit Langem als Botschafterin für norwegische Literatur unterwegs. Vor der Eröffnung lädt sie zu einer literarischen Zugreise von Berlin über Köln nach Frankfurt ein. Außerdem ist sie Mitherausgeberin einer Anthologie mit dem Titel Heimatland (Luchterhand 2019), die zur Frankfurter Buchmesse auf Deutsch erscheint.

Zwölf Beiträge zum Thema Norwegisch-Sein

Als feststand, dass Norwegen Ehrengast der Buchmesse werden sollte, lud der Aschehoug Verlag die Kronprinzessin ein, eine Anthologie herauszugeben, die sich mit dem Norwegisch-Sein in der heutigen Welt befasst. Sie wählte den profilierten Schriftsteller und Verlagsredakteur Geir Gulliksen als Mitherausgeber.

Die beiden baten zwölf Autoren und Autorinnen, folgende Fragen auf ihre Weise zu beantworten:

Was bedeutet es heutzutage, norwegisch zusein? Können wir bestimmte Dinge als „norwegisch“ definieren oder gibt es nur individuelle Erlebnisse der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft? Gibt es eine norwegische Sichtweise auf die Welt, und was bedeutet es für dich und mich, norwegisch zu sein?

„Geir und ich haben sehr unterschiedliche Ansichten darüber, was ‘norwegisch’ ist“, berichtete Kronprinzessin Mette-Marit, als die Anthologie erschien.

„Ich verstand kaum, was sie meinte, wenn wir das Thema untereinander diskutierten. Das war ein äußerst produktiver Ausgangspunkt“, ergänzt Gulliksen. „Und nun haben wir zwölf verschiedene Antworten auf unsere Fragen.“

Die zwölf Beiträge kommen von Tomas Espedal, Vigdis Hjorth, Ole Robert Sunde, Marit Eikemo, Siri Hustvedt, Wencke Mühlheisen, Demian Vitanza, Karl Ove Knausgård, Helga Flatland, Agnes Ravatn, Maria Navarro Skaranger und Dag Solstad.

Geir Gulliksen. Foto: Baard Henriksen

Unbequeme Fragen

„Die Autoren stehen keineswegs repräsentativ für bestimmte Richtungen. Wir sind von uns selbst als Leser ausgegangen und haben Schriftsteller ausgewählt, die uns persönlich wichtig waren. Und wir freuen uns sehr, dass sie mitgemacht haben“, sagt die Kronprinzessin.

Die beiden Herausgeber erzählen von einer äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit:

„Mit Geir zusammenzuarbeiten war ein großes Glück. Ich habe viel gelernt, besonders weil wir so unterschiedlich denken. Ich habe Geir viele unbequeme Fragen gestellt“, erzählt die Kronprinzessin lächelnd.

„Ja, es war wirklich sehr unangenehm“, scherzt Gulliksen.

„Bittet man Belletristen, über ein bestimmtes Thema zu schreiben, ist es typisch, dass sie die Aufgabe nicht erfüllen“, sagt Gulliksen. „Sie wollen über Dinge schreiben, die ihnen wichtig sind. Doch unter dem Strich sagen alle Texte der Anthologie etwas darüber aus, was es bedeutet, norwegisch zu sein. Wenn Vigdis Hjorths Beitrag in einem anderen Zusammenhang stünde, würde man vielleicht nichts spezifisch Norwegisches darin erkennen, aber gemeinsam mit den anderen Beiträgen ist genau dies der Fall“, erklärt er, und die Kronprinzessin stimmt zu:

„Ja, das Buch hat eine Art norwegischen Klang.“

Literarische Zugreisen

Kronprinzessin Mette-Marit engagiert sich seit vielen Jahren für die Literatur. Auch in Norwegen hat sie etliche Literaturzüge organisiert. Auf diesen Reisen sind jede Menge Bücher an Bord, und an den Stationen gibt es Gespräche mit Autoren, oft über aktuelle Themen und mit reichlich Mediendeckung.

Die lange Bücherreise begann in ihrer Kindheit, nämlich mit den Märchen, die ihr die Mutter erzählte.

„Märchen sind eine wunderbare Art des Reisens“, sagte sie auf einer der literarischen Zugreisen.

Die Mutter der Kronprinzessin, Marit Tjessem, hatte Mette-Marits Leselust geweckt.

„Ich glaube, eine meiner ersten Begegnungen mit Literatur war Astrid Lindgren. Ich weiß nicht mehr genau, welches Buch es war, aber Mama las viel Astrid Lindgren vor, als ich klein war.“

Auch die Kinder des Kronprinzenpaars haben die Werke der weltberühmten schwedischen Autorin ausführlich kennengelernt.

„Ihr Universum wird ewig bestehen. Ich habe meinen Kindern viel Astrid Lindgren vorgelesen.“

„Mit am besten erinnere ich mich an die Geschichten aus Tausendundeine Nacht, mit denen ich sozusagen in die weite Welt gereist bin“, erinnert sich Mette-Marit. Die Geschichten aus Tausendundeine Nacht sind hauptsächlich indischen und persischen Ursprungs, wurden aber im 9. Jahrhundert ins Arabische übersetzt. Heute gehören Aladdin und die Wunderlampe, Ali Baba und die vierzig Räuber und Sindbad der Seefahrer zum Weltliteraturerbe. Sie sind das Werk reisender Erzähler, die auf Straßen und Plätzen auftraten, und wurden erst später niedergeschrieben.

„Plötzlich auf einem Basar oder an einem anderen exotischen Ort aufzuwachen“, sagt die Kronprinzessin und lächelt. „Mit fliegenden Teppichen, Krügen und Weihrauch. Das war eine große Freude für mich. Eine fantastische Art des Reisens. Nichts kann ein Kind neugieriger machen.“

Wer bin ich?

Die Kronprinzessin möchte das Lesen fördern, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.

„Es ist unsere Pflicht, die Leselust der Kinder zu wecken“, lautet ihre klare Botschaft.

Haben Bücher in all dem digitalen Lärm noch genug Kraft, um Kinder und Jugendliche zu fesseln?

„Ich glaube schon. Zumindest will ich es hoffen. Und wir Erwachsene müssen sie zum Lesen anregen.“

Ein häufiges Thema in der Literatur ist Außenseitertum in verschiedenen Formen. Auch die Kronprinzessin beschäftigt sich damit. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

„Ich glaube, das ist ein wichtiger Teil der menschlichen Erfahrung, deshalb schreiben so viele darüber.

Schon beim Prozess des Schreibens begeben sich Autoren außen vor, um einen schärferen Blick auf die anderen zu werfen und dies besser an die Leser weiterzugeben.“

„Außen vor stehen“ ist ein vielschichtiger Begriff. Wie kommt es, dass die Literatur ihn so gut einfängt?

„Diese Frage ist schwierig und einfach zugleich. Ich glaube, das liegt in der Natur der Literatur. Dass wir das Leben anderer von innen miterleben dürfen, ist etwas ganz Spezielles.“ Die Literatur hat zu allen Zeiten existenzielle Fragen gestellt. „Wer bin ich?“, lautet eine der Fragen, die sich auch die Kronprinzessin gestellt hat.

„Die Literatur ermöglicht uns nicht nur, uns in andere Menschen hineinzuversetzen. Sie überwindet auch innere Grenzen“, sagt Mette-Marit und vertieft: „Deshalb können wir uns mithilfe der Literatur auch selbst kritisch betrachten. So ging es mir immer.“

Sie haben in ihrem Leben die große Veränderung von unbekannt zu königlich erlebt. Gibt es literarische Figuren, in denen Sie sich wiedererkennen?

„Nein, diesen Übergang habe ich alleine bewältigt“, antwortet Mette-Marit lächelnd.

Foto: Sabine Felber

Philip Roth unter den Favoriten

Bei der Zusammenstellung der Anthologie haben Mette-Marit und Geir Gulliksen ein Dutzend norwegische Autoren ausgewählt, die sie persönlich schätzen. Hat die Kronprinzessin einen internationalen Lieblingsschriftsteller?

„Da gibt es so viele, und ich möchte keinem den Vorzug vor anderen geben.“

Und wenn Sie einen aussuchen müssten?

„Wenn es sein muss, dann Philip Roth.“

Warum ausgerechnet Roth?

„Roth passt immer. Er bedeutet mir viel, und ich habe viele seiner Bücher gelesen“, sagt Mette-Marit und fügt lachend hinzu: „Auch wenn es absurd scheint, dass ein amerikanisch-jüdischer Mann, der über amerikanisch-jüdische Männer schreibt, einer Frau mit langen, blonden Haaren, die noch dazu in dieser Wirklichkeit lebt, so viel bedeutet. Er schreibt viel über pubertäre Themen. Aber was er schreibt, ist allgemeingültig, und er schreibt sehr gut.“

Aus dem Norwegischen von Frank Zuber.