AN DIESEM MORGEN UND HEIMLICH
(WINTERSONNENWENDE)
ich betrachte die espe,
während sich die sonne wendet
und nichts kann ich sehen
von all dem, was sich an diesem morgen
und heimlich
wenden wird
die säfte im baum
werden sich nicht mehr zurückziehen,
sondern steigen
obwohl ich nichts sehen kann,
wird sich das, was nun verborgen ist, bald zeigen
zuerst als kleine wunden in der rinde,
sodass niemand zweifeln muss
und wenn die trennwand fortgenommen wird
werden wir endlich
das verborgene sehen
vielleicht
geheime fäden
zwischen der espe und dem atem
des hasen der
unter dem baum sitzt
oder am ehesten
die blanke
blanke kraft,
die gerade jetzt
die sonne zum wenden bringt
Übersetzung von Antje Subey-Cramer
DENNE MORGENEN OG HEMMELIG
(VINTERSOLHVERV)
jeg ser på ospetreet
idet solen snur
og ingenting kan jeg se
av alt som denne morgenen
og hemmelig
vil vende
saften i treet
skal ikke lenger trekke seg tilbake
men stige
selv om jeg ingenting kan se,
vil det som nå er skjult snart vise seg
først som små sår i barken
slik at ingen trenger å tvile
og når skilleveggen tas bort
skal vi endelig få se
det skjulte
kanskje
hemmelige tråder
mellom ospetreet og pusten
til haren som sitter
under det treet
eller aller helst
den blanke
blanke kraften
som akkurat nå
får solen til å vende
Aus Ingrid Nielsen (1968), Hemmelig, men aldri som en tyv, Gyldendal Norsk Forlag, Oslo 2016. Die deutsche Übersetzung stammt aus Sternenlichtregen. Lyrikanthologie Norwegen, Verlag Das Wunderhorn / Gyldendal Norsk Forlag, Heidelberg / Oslo 2019.
Gedicht der Woche. 52 Gedichte durch das Jahr
Seit den ersten Niederzeichnungen mit Felszeichnung und Runeninschrift, genießt die Dichtung und die Poesie eine starke Stellung in Norwegen. Durch die wöchentliche Präsentation eines Gedichts im Jahr 2019, möchten wir die Qualität und Vielfältigkeit der norwegischen Poesie beleuchten. "Gedicht der Woche" stellt 52 Gedichte vor, die vom Jahresablauf und den wechselnden Jahreszeiten inspiriert sind. Die Auswahl ist von Annette Vonberg und Tone Carlsen getroffen worden und umfasst Lyrik von den ersten Handschriften bis hin zu zeitgenössischer Poesie.