259 Tage, 20.000 Kilometer und 14 Staaten hat die norwegische Autorin Erika Fatland hinter sich gelassen, um den weltpolitischen Giganten Russland aus Sicht seiner Nachbarn kennenzulernen. Erleben Sie heute einen typisch untypischen Tag im Leben der bereisten Autorin!
Erika Fatland (* 1983) ist eine bekannte Sachbuchautorin, die zuvor schon Erfolge mit ihrem Buch Sowjetistan (übersetzt von Ulrich Sonnenberg, Suhrkamp Verlag) feierte. In Deutschland erschien gerade ihr neues Werk Die Grenze, ebenfalls in Übersetzung von Ulrich Sonnenberg im Suhrkamp Verlag. Darin reist sie in 259 Tagen durch die 14 Nachbarstaaten Russlands und erkundet, inwieweit diese bis heute vom weltpolitischen Giganten geprägt sind. Momentan arbeitet die Norwegerin bereits an ihrem nächsten Buch über die Himalaya-Region. „Es ist eine extrem faszinierende Region voller Geschichte, natürlicher Schönheit und kultureller Vielfalt“, sagt Fatland. Hier erzählt sie der Journalistin Alva Gehrmann von einem typisch untypischen Tag im indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh.
7 Uhr
Eigentlich hätte ich heute im Eco Resort, einer Übernachtungsstätte mit sehr einfachem Standard, so lange schlafen können wie ich will, weil wir erst später aufbrechen wollten. Da die Menschen in den ländlichen Gebieten des Himalayas meist gegen neun Uhr abends schlafen gehen und bei Sonnenaufgang aufstehen, war auch ich um 7 Uhr schon hellwach.
9 Uhr
Nach einem späten Frühstück auf der Terrasse des Eco Resorts im Ort Roing setze ich mich vor meine kleine Hütte, um die Eindrücke der letzten Tage aufzuschreiben. In den vergangenen Monaten hatte ich unzählige Stunden in Autos auf furchtbaren Bergstraßen verbracht, und die vorherigen Tage waren keine Ausnahme. Auf diesen Reisen traf ich viele faszinierende Menschen, zum Beispiel den weinenden Schamanen in Anini, einem Dorf im Bundestaat Arunachal Pradesh.
10.35 Uhr
Normalerweise wäre ich jetzt bereits im Auto, auf dem Weg zu neuen Zielen in den Bergen, doch unser Fahrzeug muss dringend repariert werden, nachdem es mit einer Mischung aus Diesel, Kerosin und Wasser von einem lokalen Geschäft in Anini behandelt wurde. Wir entdeckten den Betrug erst, als wir bereits auf dem Rückweg nach Roing (etwa 240 Kilometer südlich) waren und der Motor plötzlich stehen blieb. Zum Glück gab es viele Straßenarbeiten, und wir konnten einen Mechaniker auftreiben. Der konnte das Problem jedoch nur vorübergehend lösen.
11.50 Uhr
Der Fahrer und der örtliche Guide tauchten schließlich auf, nachdem sie den ganzen Morgen vor der Garage angestanden hatten. Das Auto war wieder fröhlich und voller Energie, entlastet vom betrügerischen Treibstoff. Bevor wir losfuhren, gingen wir in einem lokalen Restaurant zum Mittagessen und ich aß wie üblich Reis, Gurken und Gemüse.
14 Uhr
In diesem Teil des östlichen Himalayas ist das Opium-Rauchen durchaus üblich. Ich fragte meinen Guide, ob es möglich wäre, einen Süchtigen zu treffen, und er sagte: „Klar, ich bringe dich zu meinem Nachbarn“. Sein Nachbar war ein Regierungsangestellter, der nur ins Büro ging, um sein monatliches Gehalt abzuholen. Kichernd zeigte er mir sein Rauch-Equipment, das über dem Kamin im Wohnzimmer bereit lag.
14.45 Uhr
Ich wollte gerade den Opiumsüchtigen verlassen, als ein Freund von ihm auftauchte. Wir blieben länger, um zu sehen, wie das Opium hergestellt und konsumiert wurde. In der Zwischenzeit servierte seine Frau, die sich strikt gegen die Rauchgewohnheiten ihres Mannes aussprach, Tee und telefonierte mit ihren erwachsenen Kindern, damit auch sie die Fremde begrüßen konnten.
17 Uhr
Wir kamen beim neuen Eco Resort an, in dem ich die Nacht verbringen wollte. Im Vergleich zum vorherigen, war der Standard, mit braunen Wänden und Insektenschwärmen im Badezimmer, hier noch einfacher. Immerhin hatte ich eine Internetverbindung auf meinem Smartphone! Endlich! Ich freute mich darauf, die letzte Episode der vierten Staffel der französischen Serie Le Bureau des légendes zu sehen.
22 Uhr
Leider verschwand die Internetverbindung sehr bald, und ich verbrachte den Abend damit, mein Smartphone anzustarren und zu hoffen, dass es auf wundersame Weise zurückkommen würde. Gegen 22 Uhr gab ich auf. Als ich ins Bett wollte, stellte ich fest, dass auf dem Laken Mäuseexkremente lagen. Angeekelt wischte ich sie weg und packte meinen Schlafsack aus.
02.30 Uhr
Die Wände waren so dünn, dass ich das Gefühl hatte, ich würde im selben Raum wie meine Nachbarn schlafen. Gegen 2.30 Uhr begann die Frau heftig zu husten, und ich erwachte aus meinem Traum. Ich brauchte ein paar Stunden, um wieder einzuschlafen.
Weitere Informationen zur Autorin und deren Bücher finden Sie hier
https://www.suhrkamp.de/autoren/erika_fatland_14742.html
Wenn Sie mehr über Erika Fatland spannende Reise erfahren möchten, finden Sie ein ausführliches Interview von Journalistin Alva Gehrmann mit der Autorin auf Spiegel Online.