Der Weltkongress kommt nach Lillehammer

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Geschrieben von Vebjørn Rogne, BOK365

In diesem Jahr steht Frankfurt unter dem Zeichen der norwegischen Literatur. Im nächsten Jahr versammelt sich die Verlagswelt in Norwegen, und zwar in Lillehammer.

„Die Präsentation in Frankfurt in diesem Herbst soll die norwegische Literatur in die Welt hinausbringen und gleichzeitig zeigen, dass wir den Kampf für Meinungsfreiheit und Lesen unterstützen. In diesem Zusammenhang hat der Norwegische Verlegerverband beschlossen, im Jahre 2020 ausländische Verlegerinnen und Verleger nach Norwegen zu bitten“, sagt Kristenn Einarsson, Vorsitzender des Norwegischen Verlegerverbandes und des Freedom of Speech-Komitees der IPA.

„Es ist unser Ziel, durch den Weltkongress, wie schon durch die norwegische Präsentation in Frankfurt, deutlich die Bedeutung von Meinungsfreiheit und Leseförderung zu betonen. Mehrere Untersuchungen werden bis dahin durchgeführt und in Lillehammer vorgestellt werden. Zu den behandelten Themen gehören auch der Status und die Herausforderungen von Veröffentlichungs- und Meinungsfreiheit. Ein gesonderter Bericht wird zudem darstellen, welchen Beitrag die Verlage leisten können, um die Nachhaltigkeitsziele der UN (Sustainable Development Goals oder SDGs) zu erreichen, die für unsere Branche von Bedeutung sind.“

„The Return of the Lost Reader“

Im Mai des kommenden Jahres soll in Lillehammer energisch zur Jagd auf die verlorenen Buchleserinnen und Leser geblasen werden.

„Die Vielleser lesen weniger, sie wissen, dass sie weniger lesen, und das gefällt ihnen nicht. Sie würden gern mehr lesen. In mehreren Ländern werden Untersuchungen durchgeführt, und an einigen Orten werden Kampagnen und andere Aktivitäten vorbereitet. Beim Kongress in Lillehammer wird ein Bericht über ‚The Return of the Lost Reader‘ vorgestellt werden“, berichtet Einarsson.

Die Tagung in Lillehammer soll ein breites Spektrum von Veröffentlichungsfeldern umfassen. Es wird einen eigenen Tag zum Thema Entwicklung von Lehrmitteln geben. Zwei neue Berichte werden vorliegen, aus denen hervorgeht, was wir über die besten Unterrichtsformen wissen und welche Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Lehrmitteln besonders geeignet sind. Neben Podiumsdiskussionen über die vorgelegten Berichte soll es auch Gruppendiskussionen über diese Themen geben.

„Alle Vorschläge werden dokumentiert werden und in neue Versionen der Berichte einfließen, die anschließend dem Parlament vorgelegt werden. Damit wird es möglich, zur Entwicklung der Politik des internationalen Verlegerverbandes beizutragen“, so Einarsson.

Kristenn Einarsson. Foto: Kristin Hefte

Verfolgte Verleger

In Lillehammer wird dann auch der Prix Voltaire vergeben, der Preis für Personen, die sich um die Freiheit des geschriebenen Wortes verdient gemacht haben. Mit diesem Preis rückt die IPA einen Verleger oder eine Verlegerin und deren besondere Herausforderungen in den Fokus.

„In diesem Jahr wurde der ägyptische Verleger Khalid Lofty ausgezeichnet, der wegen einer Buchveröffentlichung in Ägypten zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Im vergangenen Jahr war es Gui Minhai, Verleger und Buchhändler aus Hongkong, der aus seinem Ferienhaus in Thailand entführt wurde und nun an einem unbekannten Ort in China gefangen gehalten wird. Im selben Jahr ging ein Preis postum an Faisal Arefin Dipan aus Bangladesh, der in seinem Büro ermordet wurde. Im Jahr davor waren der türkische Verleger Turhan Günay und der Verlag Evrensel die Preisträger. In den letzten Jahren haben wir uns also besonders mit Ägypten, China, Bangladesch und der Türkei beschäftigt“, berichtet Kristenn Einarsson.

„Wir reagieren nach besten Kräften auf alle Verstöße gegen die Publikationsfreiheit, von denen wir erfahren. Auch in der sogenannten westlichen Welt ist eine besorgniserregende Entwicklung zu beobachten. Der US-Präsident hat versucht, mit Hilfe seiner Anwälte zwei Buchveröffentlichungen zu verhindern. In Ungarn wurden die Lehrmittelverlage verstaatlicht – es gibt viele Beispiele. Wir sehen darin ein wachsendes Problem. Was passiert, wenn bei Autoren und Autorinnen die Selbstzensur aktiv wird? Was, wenn das auch bei Verlagen der Fall ist, und wenn Vermittlungsinstanzen wie Buchhandel und Bibliotheken diesem Beispiel folgen? Wie können wir dann noch unseren gesellschaftlichen Auftrag erfüllen? Derzeit wird bei den Verlagen in unseren Mitgliedsstaaten eine Untersuchung durchgeführt, die im kommenden Jahr in Lillehammer vorgestellt werden soll. Auch mehrere Seminare in verschiedenen Ländern widmen sich diesem Thema.“

Sisyphos-Arbeit

Gibt es Einzelfälle, für die Sie sich besonders engagieren?

„Ich bin beeindruckt von Leidenschaft und Bereitschaft, die viele Verleger unter erschwerten Arbeitsbedingungen an den Tag legen. Was mich jedoch am stärksten berührt, sind die Begegnungen mit den Angehörigen der Inhaftierten und Ermordeten.

Im vergangenen Jahr hatten wir in Frankfurt ein Seminar namens ‚Accidental Activist‘. Mit der Witwe von Faisal Arefin Dipan, die beschloss, nach seiner Ermordung den Verlag weiterzuführen. Mit der Tochter von Gui Minhai, dem Bruder von Khalid Lofty oder der Frau von Raif Badawi, die mit ihren Kindern nach Kanada fliehen musste, während er in Saudi-Arabien im Gefängnis sitzt. Sie hatten allesamt nicht vor, Aktivistinnen oder Aktivisten zu werden, sie hatten sich nie vorgestellt, um die ganze Welt zu reisen, um dazu beizutragen, dass ihre Angehörigen nicht in Vergessenheit geraten.“

Einarsson verhehlt nicht, dass diese Arbeit bisweilen zur Belastung wird. „Unsere Tätigkeit kann wie die reine Sisyphos-Arbeit wirken. Und wenn nicht immer derselbe Stein nach unten rollt, wenn man gerade oben angekommen ist, dann ein anderer. Aber wir müssen weitermachen.

Es ist wichtig, die in unseren Mitgliedsorganisationen geleistete Arbeit zu unterstützen. Nicht zuletzt müssen wir auf ihre Stimmen hören, wenn sie nicht dieselben Möglichkeiten haben zu reagieren. Wir müssen die Gespräche darüber in Gang halten, wie wir organisierten und nichtorgansierten Angriffen auf die Freiheit des geschriebenen Wortes begegnen wollen.“

UNESCO-Literaturstadt

Ende Mai kommenden Jahres wird Lillehammer einige ereignisreiche Tage erleben. Der Europäische Verlegerverband wird dort seine Jahrestagung abhalten, es wird eine eigene Abteilung für norwegische Verlage geben, und der Weltkongress wird zeitgleich mit dem Literaturfestival stattfinden. Zusammenarbeit findet bereits statt, so dass einige der auf dem Kongress behandelten Themen auch ins Festivalprogramm einfließen können.

Olav Bostrup Müller, Kulturchef von Lillehammer, freut sich auf die Besuchermassen im nächsten Jahr: „Meines Wissens hat der Weltkongress der IPA noch nie in einer so kleinen Stadt stattgefunden. Lillehammer verfügt über eine Hotel- und Seminarkapazität, mit der sich nur wenige andere Städte in Norwegen messen können, und ist erfahren in der Ausrichtung großer Veranstaltungen. Zudem bieten wir kurze Entfernungen und ein lebhaftes Kulturleben – die Teilnehmenden landen ja mitten im Literaturfestival von Lillehammer. Lillehammer als hat einzige skandinavische Stadt den Status einer UNESCO-Literaturstadt, und ich glaube, das ist mit ein Grund, warum die Entscheidung auf uns gefallen ist. Jetzt arbeiten wir dafür, dass der Weltkongress des Verlegerverbandes bleibende Spuren hinterlassen kann – nicht nur hier in der Stadt, sondern im gesamten Buch-Norwegen. Es ist eine einzigartige Gelegenheit.“

Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs.

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