Norwegen ist das beste Land, in dem man wohnen kann, wenn man der letzten Untersuchung der UNO glauben will. Aber nur wenige sind mordlüsterner als die Norweger – in der Welt der Bücher.
Die Brücke (norw. Broen), Kommissarin Lund (norw. Forbrytelsen), Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist, Kurt Wallander, Harry Hole. Die nordische Krimiwelle ist über die ganze Welt geschwappt. Knut Gørvell, Leiter des größten norwegischen Krimifestivals, beschreibt die Krimiliteratur als den „neuen Lachs“, als Verweis auf das wichtigste norwegische Exportgut neben dem Öl.
Woher rührt die Faszination des nordischen Krimis? Was ist es, das die Aufmerksamkeit der LeserInnen auf diese Bücher, Filme und Fernsehserien lenkt? Liegt es an der nordischen Schwermut und den wortkargen Charakteren? Ist es die Winterdunkelheit, die Mitternachtssonne oder die Natur, mit ihren weiten, einsamen Landschaften? Oder sind es die Gesellschaftsverhältnisse – das verlorene Paradies mit einer sozialdemokratischen, gut funktionierenden Utopie, die von innen her durch Gewalt, Mord und unheilvolle Ängste angegriffen wird?
Wie dem auch sei, es ist eine Tatsache, dass diese friedliche Ecke der Welt eine Reihe von „mordlüsternen“ AutorInnen und LeserInnen hervorgebracht hat.
Denkwürdige Morde
Jo Nesbø hat in seinen Büchern blutige und spektakuläre Morde begangen. Der „Grand Old Man“ der norwegischen Kriminalliteratur hat sich sein halbes Leben lang damit beschäftigt. Aber keiner kann es mit Unni Lindell aufnehmen. Die 61-Jährige hat über 150 literarische Morde auf dem Gewissen.
- Allein in Das dreizehnte Sternbild (norw. Slangebæreren) gab es fünf Morde, in Lautlos in den Tod (norw. Rødhette) acht und in der Kurzgeschichtensammlung Min mor har en saks i ryggen (noch nicht auf Deutsch erschienen), geschehen in den 19 Kurzgeschichten 25 Morde, erzählt Lindell.
Staalesen kommt in seinem „Lebenslauf“ auf etwa halb so viele Opfer wie Lindell:
- In meinen letzten Büchern habe ich versucht, die Zahl der Morde so weit wie möglich zu reduzieren. Im Schnitt glaube ich jedoch, dass man pro Buch etwa zwei Morde veranschlagen sollte. Ich habe 24 Romane geschrieben. Das macht also 48 Morde, sagt Staalesen, der sich mit dem vielleicht schnellsten Mord der Kriminalliteratur brüsten kann: - Er geschieht schon bevor das Buch beginnt. Von Angesicht zu Angesicht (norw. Ansikt til Ansikt) beginnt mit den Worten „In meinem Wartezimmer saß ein Toter“ - viel früher kann man in einem Krimi keine Leiche präsentieren.
Manche AutorInnen sind „effizienter“ als andere: Øystein Wiik hat sechs Bücher über Tom Hartmann geschrieben und insgesamt 87 Morde auf dem Gewissen. Er findet diese Art zu zählen unfair.
- Wenn man die Anzahl der Morde durch die Anzahl der erschienenen Bücher teilt, kann man am gerechtesten beurteilen, wer der blutrünstigste Norweger ist, sagt er und lächelt.
Øystein Wiik steht hinter dem vielleicht denkwürdigsten Mord der norwegischen Krimigeschichte, in dem der Mörder im Namen der Silberfüchse einen Pelztierzüchter bei lebendigem Leib enthäutet, zerlegt und das Fleisch seinen Tieren zum Fressen serviert.
- Ich bin sehr zufrieden mit dem Mord an dem Pelztierzüchter in Rekviem (noch nicht auf Deutsch erschienen). Ein weiterer persönlicher Favorit ist die Penispumpe, die in Hvit Panter (noch nicht auf Deutsch) zur ziemlich schmerzhaften tödlichen Waffe wird, sagt Øystein Wiik trocken.
Sie morden aus Verzweiflung
Karin Fossum, die zusammen mit Unni Lindell und Anne Holt zu den Anwärterinnen auf die Krone der norwegischen Krimikönigin gehört, liegt mehr daran, aus welchen Gründen die Morde begangen werden.
- Die Leute morden meist aus Verzweiflung. Es sind ganz gewöhnliche Menschen. Ich habe meinen Platz in einem realistischen Universum gefunden und glaube, es ist klug, über Dinge zu schreiben, die man gut kennt, sagt Fossum zu Forlagsliv.no.
Ihr neuester Roman, Formørkelsen (noch nicht auf Deutsch erschienen), beginnt mit einer schrecklichen Tragödie. Ein Kind stürzt aus dem 7. Stock von einem Hotelbalkon und stirbt. Kindesmord ist ein wiederkehrendes Thema in Ihren Büchern.
- Es passiert ja häufig, dass Eltern ihre Kinder töten, ich habe tatsächlich von einem solchen Kindesmord gehört und war sehr berührt davon. Es ging mir unter die Haut und es fühlte sich so vertraut und ernst an auf eine neue Art, wie sie nicht in den Zeitungen beschrieben wird. Es war ein Mord, der von gewöhnlichen Menschen begangen wurde. Nach vier, fünf Büchern wurde mir klar, dass ich über spontane Morde schrieb, nicht über geplanten Mord. Die Art von Mord, wie sie uns allen passieren kann, wenn die Dinge zu heftig werden. Wir werden zu wilden Tieren, wenn wir stark unter Druck gesetzt werden, verstehen Sie? Wir sind primitive Seelen. Mörder sind in dem Augenblick der Tat in der Regel vollkommen weggetreten.
Nesbø ist der König
Mit 150 literarischen Morden kann Lindell mit über zweieinhalb Mal so vielen Morden aufwarten wie Jo Nesbø, der es laut seines Lektors Øyvind Pharo bis vor ein paar Jahren nur auf etwa „lausige“ 60 gebracht hat.
Jo Nesbø ist ohne Zweifel der meistgelesene norwegische Autor der Welt. Norwegens Krimikönig ist ein Mann mit vielen Talenten: Er war ein vielversprechender Fußballspieler, bevor eine Verletzung seiner Laufbahn ein Ende setzte. Er arbeitete als Finanzexperte und Journalist, nicht zuletzt war er auch Komponist und Sänger der norwegischen Pop-Band Di Derre. Nesbø war bereits eine bekannte Persönlichkeit in Norwegen, bevor er sein erstes Buch veröffentlichte. Sein erstes Krimimanuskript schickte er deshalb unter dem Pseudonym Kim Erik Lokker (inspieriert von Kimer i klokker, einem norwegischen Weihnachtslied) an den Aschehoug Verlag.
Doch bald sollte der Name Jo Nesbø weltberühmt werden. Als Der Leopard (norw. Panserhjerte) die Spitze der britischen Bestsellerlisten erreichte, passierte dies erst zum zweiten Mal in der Geschichte - das erste Mal war es bei Stieg Larssons Millenieum-Trilogie.
Elf Bücher hat er über seinen Krimihelden Harry Hole geschrieben. Dazu kamen eigenständige Romane ohne Hole und fünf Kinderbücher über Doktor Proktor.
In diesem Jahr steht weder Harry Hole noch Doktor Proktor für Nesbø im Mittelpunkt: nach kurzem Zögern beteiligte er sich an dem großen Hogarth-Shakespeare-Projekt, bei dem Shakespeare Klassiker in modernen Versionen erscheinen.
Jo Nesbø entschied sich für Macbeth – eine grausame Tragödie, eines er blutigsten Werke von Meister Shakespeare. Das sagt so einiges.
Der moderne Macbeth
Nesbø nimmt das Theaterstück vom Beginn des 17. Jahrhunderts, in dem fünfhundert Jahre zurückliegende Ereignisse thematisiert werden, und macht es zu einer fast sechshundert Seiten starken, brutalen, rabenschwarzen Geschichte, die etwa zu unserer Zeit spielt.
Jo Nesbøs Macbeth. Blut wird mit Blut bezahlt (norw. Macbeth) ist ein knallharter und spannender Kriminalroman geworden, der in einer durch und durch korrupten Stadt spielt, in der Blut fließt und wo sich die ständig aus vom dunklen Himmel fallenden Regentropfen mit dem Blut in den Straßen vermischen. Und die zentrale Figur der Handlung: Polizeichef Macbeth und seine schöne und zynische Gefährtin, Lady.
In Nesbøs namenloser und korrupter (schottischer) Stadt ist der Posten des Polizeichefs wichtiger als das Bürgermeisteramt, und natürlich ist dies die Position, die das machthungrige Paar anstrebt. Doch dafür muss zuerst der neugewählte, rechtschaffene Polizeichef Duncan aus dem Weg geräumt werden.
Bei Shakespeare ist Duncan König von Schottland, während Macbeth ihm als tapferer und tüchtiger General zur Seite steht, der zu Beginn der Tragödie soeben ein nordirisches Heer aus dem Land gejagt hat. Darauf trifft er drei Hexen, die ihm prophezeien, dass er König sein wird. Darüber hinaus versichern sie ihm, kein Mensch, der von einer Frau geboren wurde, könne ihn töten.
Die Hexen werden von Hekate, der Göttin der Hexerei, regiert. Bei Nesbø ist Hekate ein Mann, und er befehligt nicht nur drei moderne Hexen, sondern steuert auch den Drogenverkehr der verregneten, düsteren Küstenstadt. Diese Hexen bearbeiten Macbeth, bis er glaubt, nicht König, dafür aber Polizeichef werden zu können. Und sie überzeugen ihn auch davon, dass er von keinem Menschen getötet werden kann, der von einer Frau geboren wurde.
Macbeths Antagonist Macduff heißt bei Nesbø einfach Duff, doch er trägt bei beiden Dichtern dieselbe Last. Und wenn sich Macbeth und Duff am Ende von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, kommt es zum Kampf auf Leben und Tod.
„Die nordische Schwermut“
Obwohl Nesbø zweifellos der norwegische Krimiautor ist, der die höchsten Verkaufsraten pro Titel erreicht, ist es ein anderer Autor, der die meisten Exemplare verkauft, wenn wir den Verkauf sämtlicher Buchausgaben zusammenzählen: Jørn Lier Horst. Der ehemalige Polizeibeamte konnte in seinem Heimatland unglaubliche kommerzielle Gewinne erzielen. Neben seinen sehr erfolgreichen Krimis über den Polizeiermittler William Wisting, hat der produktive Horst auch zwei Krimireihen für Kinder, die sich unglaublich gut verkaufen. Es ist nicht selten vorgekommen, dass Horst zehn der fünfzehn bestplatzierten Titel auf der Bestsellerliste norwegischer Kinderbücher hatte.
Horst hat seine Theorien, warum skandinavische Kriminalromane weltweit so erfolgreich sind.
- Nach vielen Treffen mit ausländischen KrimileserInnn bin ich des Rätsels Lösung ein bisschen nähergekommen. Nordische Kriminalromane gelten oft als anspruchsvoller als beispielsweise amerikanische Krimis. Die LeserInnen erzählen, wie sie herausgefunden haben, dass ein Krimi mehr sein kann als nur eine Erzählung über ein Verbrechen. Die AutorInnen sind sehr ambitioniert und verleihen dem Genre eine besondere Form von Lebendigkeit und Qualität, erklärt Horst und fügt hinzu:
- Viele LeserInnen sind fasziniert von „der nordischen Schwermut“, entstanden durch Winterdunkelheit, Mitternachtssonne und weite, einsame Landschaften. Die wortkargen, ein wenig verschlossenen nordischen Krimihelden haben ihren eigenen Nimbus. Sie sind einsame Wölfe und leben in einem unfruchtbaren und kalten Teil der Welt, ständig auf der kompromisslosen Jagd nach Wahrheit und Aufklärung. Auch die Vorstellung vom verlorenen Paradies spielt beim Verständnis nordischer Krimis eine große Rolle: Die sozialdemokratische, gut funktionierende Gesellschaft, die von innen her durch Gewalt, Korruption und Mord angegriffen wird. Der Kriminalroman hat sich als hervorragendes Werkzeug erwiesen, um gesellschaftlichen Verfall, Machtmissbrauch und Gier zu entlarven. Und aus diesem Grund eignet er sich gut als Transportmittel für Gesellschaftskritik.
Starke literarische Bilder
Horst betont, dass LeserInnen nordische Kriminalromane wegen ihrer abwechslungsreichen und weniger vorhersehbaren sprachlichen Bilder schätzen. Die effektive und nüchterne Prosa ist zwar auch hier vorherrschend, doch nach Horsts Meinung liest man immer häufiger Kriminalromane, in denen die Sprache einen ganz klaren eigenen Stellenwert hat:
- AutorInnen wie Karin Fossum, Håkon Nesser oder Gunnar Staalesen sind deutlich bestrebt, sich von der üblichen Marathonprosa abzuheben; man findet starke literarische Bilder, verdichtete Dialoge und eine sprachliche Sensibilität, die das literarische Erleben bereichert.
Horst hält es auch für eine Stärke, dass dem Privatleben der Hauptfiguren in den nordischen Kriminalromanen mehr Raum gegeben wird:
-Man lernt sie auch von einer anderen Seite kennen statt nur von der rein beruflichen. Und ihr privates Umfeld reflektiert natürlich, wie wir hier im Norden miteinander leben. Einige sind geschieden, sind vielleicht alleinerziehend mit kleinen Kindern, und Männer und Frauen sind deutlich gleichgestellter als man es aus den Krimis anderer Länder kennt. In den Krimiserien können die LeserInnen ihre Helden durch verschiedene Lebensphasen begleiten, miterleben wie sie altern und sich verändern. Die Helden gewinnen dadurch an Glaubwürdigkeit und Tiefe, wie bei Personenbeschreibungen in anderen belletristischen Werken.
Spitzenreiter ist Deutschland
- Dunkelheit, Isolation, die Natur als Kulisse und die nordische Psyche – eine andere Erklärung habe ich bislang nicht gefunden, sagt Samuel Bjørk, als wir ihn nach seiner Theorie fragen – nach seinen Reisen in viele der der 30 Länder, in die seine Bücher verkauft wurden. Bjørks Erstling Engelskalt (norw. Det henger en engel alene i skogen) landete seinerzeit auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste.
Seine schwedische Agentin organisierte Versteigerungen in mehreren Ländern – mit 3,6 Millionen Kronen als höchstem Vorschuss für einen Vertrag über drei Bücher. Seit damals hat Samuel Bjørk international fast 1,5 Millionen Exemplare seiner ersten zwei Bücher verkauft, davon fast eine halbe Million in Deutschland.
Im Herbst 2018 erschien das dritte Buch seiner Serie über Mia Krüger und Holger Munch, Bitterherz (norw. Gutten som elsket rådyr).
- Nach dem Erfolg wurde der Druck viel stärker. Es gab ein paar schlaflose Nächte, um es mal so auszudrücken, sagt Frode Sander Øien.
Salomonsson ist die Nummer 1
Samuel Bjørk ist keineswegs der einzige norwegische Krimiautor mit schwedischem Agenten. Es gibt kaum Zweifel daran, welche der nordischen Literaturagenturen die besten KrimiautorInnen im Stall hat: Salomonsson Agency vertritt etablierte norwegische Stars wie Jo Nesbø, Jørn Lier Horst und Anne Holt sowie neue Kritkerlieblinge wie Heine Bakkeid und Ingar Johnsrud.
Zusätzlich kann Niclas Salomonsson & Co einen ganzen Katalog von schwedischen Krimi-Größen vorweisen, darunter Lars Kepler, Leif GW Persson, Arne Dahl, Maj Sjøwall und Per Wahlöö.
- Viele ausländische Verlage betonen den hohen literarischen Anspruch skandinavischer AutorInnen und ihr Talent, großartige Plots zu entwickeln. Der große Erfolg erklärt sich vor allem durch die gute Qualität, sagte Tor Jonasson, langjähriger Literaturagent bei Salomonsson. - Selbst wenn wir mit vielen der besten KrimiautorInnen Skandinaviens arbeiten, ist das Genre, in dem die Autoren sich bewegen, nicht das wichtigste. Es ist die Qualität ihrer Bücher, die an erster Stelle steht. Salomonsson Agency ist neben den KrimiautorInnen auch mit anderen AutorInnen sehr erfolgreich gewesen.
Auch wenn Norwegen, Dänemark und Island mittlerweile große Erfolge verbuchen können, muss man zugeben: Es waren die Schweden, die den Stein ins Rollen brachten. Bereits in den 1960er-Jahren erschien das erste Buch des oben erwähnten Autorenpaares Maj Sjöwall und Per Wahlöö, worauf das Duo zu einem erfolgreichen Exportartikel wurde. Doch erst in den 1990er-Jahren kam die nordische Krimiliteratur mit Henning Mankell und seinen Wallander-Büchern richtig in Schwung und trat ihre Reise um die Welt an.
Danach folgen viele, aber am eindrucksvollsten waren Stieg Larssons posthumer Erfolg in den 2000er-Jahren mit seiner Millenium-Trilogie und Jo Nesbøs formidabler Durchbruch.
All das wurde unterstützt durch TV-Serien wie Die Brücke (norw. Broen) oder Kommissarin Lund (norw. Forbrytelsen). Anfang des Jahres wurde bestätigt, dass die Produktionsfirma FLX an der allerersten schwedischen Originalserie auf Netflix arbeitet, die auf Malin Persson Giolitos Thriller Im Traum kannst du nicht lügen (norw. Størst av alt) basiert.
Gesellschaftsbeschreibend und kritisch?
Hans H. Skei, Literaturwissenschaftsprofessor, weist darauf hin, dass ausländische Medien, insbesondere die britischen, den nordischen Krimi als exotisch, gesellschaftsbeschreibend und kritisch betrachten.
- Sie haben nur eine vage Vorstellung von uns als Wohlfahrtsstaat. Und wenn dieser Wohlfahrtsstaat Risse bekommt, wie es in der Kriminalliteratur geschieht, wird dies als gesellschaftskritisch interpretiert, sagt Skei zum NRK.no.
Er selbst glaubt nicht, dass „gesellschaftskritisch“ die richtige Beschreibung dafür ist. Er hält es auch für einen Fehler, die skandinavischen Länder als Einheit zu betrachten.
- Aus der Außenperspektive kann es wohl sein, dass hier im Norden alles ziemlich gleich aussieht, aber die skandinavischen Länder haben unterschiedliche kulturelle Voraussetzungen. Ich finde es sonderbar, dass alle AutorInnen durch „nordic noir“ in einen Topf geworfen werden, sagt Skei zu NRK.no.
Nordic noir ja oder nein: Einer, der gerne mehr Gesellschaftskritik, Psychologie und Finesse sehen würde, ist der bekannte schwedische Autor Håkon Nesser.
- Viele KrimiautorInnen geben der Gewalt zu viel Gewicht. Wir brauchen nicht sämtliche Details aller Morde, die begangen werden. Das ist vollkommen überflüssig, sagt Nesser.
Zwanzig Jahre lang ist Håkon Nesser einer der wichtigsten Autoren der nordischen Kriminalliteratur gewesen. Er hat mehr als 30 Bücher geschrieben – sowohl Krimis als auch „normale“ Romane -, die ungefähr in ebenso viele Sprachen übersetzt wurden, mit 20 Millionen verkauften Exemplaren. Dem 69-Jährigen wird gern zugeschrieben, der Auslöser für den internationalen Erfolg der nordischen Krimiliteratur gewesen zu sein.
Wird die andere Literatur verdrängt?
Er glaubt, dass die Krimiwelle zu weit übers Land geschwappt ist.
- Geht man am Flughafen in eine Buchhandlung, sind neun von zehn Büchern Krimis. Das Genre hat in allzu großem Maße die andere Literatur verdrängt. Gleichzeitig erlebe ich, dass viele AutorInnen Gewalt um ihrer selbst willen kultivieren. Es ist vollkommen unnötig, alle Schäden zu beschreiben, die eine Gewehrkugel im Gewebe und in den Organen anrichten kann, wenn sie sich ihren Weg durch den menschlichen Körper bahnt. Solche Details bringen nichts für den Zauber oder die Spannung des Buches.
Nesser betont, dass seine Kritik sich nicht gegen den Kriminalroman als Genre richtet, sondern nur gegen das übertriebene Blutvergießen, das man in vielen Krimis findet.
- Der Kriminalroman bietet Raum für Psychologisierung, Gesellschaftskritik, philosophische Exkurse und vieles andere. Es ist ein breites und offenes Genre, das viele Möglichkeiten in sich trägt, das sich aber durch allzu große Popularität vielleicht selbst schaden könnte. Zu Beginn des Jahrtausends explodierte das Interesse an Krimis, aber nicht alles ist gut. Zu vieles von dem, was geschrieben wird, weist abgedroschene Polizeifloskeln auf und die AutorInnen versuchen ihre literarischen Mängel zu verstecken, indem sie den LeserInnen mit grotesken Details brutaler Morde überschütten.
Dass die Krimiwelle so stark geworden ist, ist seiner Auffassung nach der postmodernen Periode zuzuschreiben, in der das Erzählende in der Literatur nicht so hoch im Kurs steht:
- Man hat die Form auf Kosten der Erzählung kultiviert. Aber die Leute wollen gerne gute Geschichten lesen, und die bekommen sie in der Kriminalliteratur.
Aus dem Norwegischen von Inge Wehrmann