„Ich möchte, dass die Sexualität meiner Figuren einen Freiraum darstellt“

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Written by Vebjørn Rogne , BOK365

Man hat sie bereits mit Sylvia Plath und Françoise Sagan verglichen. In diesem Frühjahr können nun auch deutsche Leser Mona Høvrings Werk kennenlernen.

Mona Høvring, Foto: Agnete Brun

Als Mona Høvrings Debütroman Was helfen könnte (norw. Noe som hjelper) erschien, wurde er mit Sylvia Plaths Die Glasglocke und nicht zuletzt mit Françoise Sagans Bonjour tristesse verglichen. Das macht Mona Høvring demütig und auch froh: „Die Bücher von Plath und Sagan schätze ich sehr“, sagt sie. „Diese Autorinnen bedeuten mir viel, so wie auch andere Autoren und Autorinnen, die ich nennen möchte: Fleur Jaeggy, Michel de Montaigne, Robert Walser, Stefan Zweig, Friedrich Dürrenmatt, Natalie Sarraute, Kurt Vonnegut Jr. und Nell Dunn. Und nicht zu vergessen Clarice Lispector, deren Bücher zu den besten, heikelsten – im positiven Sinne – gehören, die ich bisher gelesen habe.“

Endlich auf Deutsch

In diesem Frühjahr erscheint Høvrings Debütroman auf Deutsch, fünfzehn Jahre nach der norwegischen Erstausgabe, die damals von den Literaturkritikern erheblichen Beifall geerntet hatte.

„Welches Verhältnis haben Sie heute zu diesem Roman?“

„Im Grunde genommen habe ich zu allen meinen früheren Werken ein sehr gutes Verhältnis. Die Hauptfigur aus Was helfen könnte begleitet mich als eine mir wichtige und interessante Figur noch immer. Seit meinem Debüt als Autorin habe ich im Großen und Ganzen über „The fall and rises“ junger Mädchen und junger Frauen geschrieben – in Form von Porträts, Schicksals- und Bildungsgeschichten. So gesehen ist Was helfen könnte für mich immer noch aktuell. Das hier ist ein Roman, der sowohl die Hauptkoordinaten als auch den schmerzenden Punkt in meinem Werk aufzeigt. Ohne zu wissen, wie der Roman in Deutschland aufgenommen werden wird, freue ich mich nichtsdestotrotz darauf, mit ihm in die Welt hinauszuziehen – und das mit einer so offenen Herangehensweise wie nur irgend möglich. Mit leicht bebenden Herzen, einem mitunter klaren Kopf und einem tief empfundenen Wunsch, dass in der Begegnung zwischen Autorin und Lesern für Augenblicke etwas Bereicherndes entstehen könnte“, sagt Mona Høvring, die sehr froh darüber ist, dass das Buch nun auch sein deutsches Publikum finden wird.

Mona Høvring hat auch in unserem Nachbarland Dänemark die Leser beeindruckt:

„Drei meiner Romane (Was helfen könnte, Das Wartezimmer im Atlantik und Weil am Tag meiner Geburt Venus ein Alpenveilchen passierte) sind dort herausgekommen und die bisherige Resonanz ist sehr erfreulich. Meine dänische Verlegerin, Lea Vilhelmsen, gründete ihren Verlag LESEN, weil sie meine Bücher auf Dänisch herausgeben wollte. Das ist eine wundervolle Anerkennung meiner Arbeit und ein großartiges Geschenk. In Dänemark hat man mich mit überwältigendem Interesse und Großzügigkeit aufgenommen und ich bekomme von dort ständig Einladungen für Autorenabende.“

Ihr neuester, in Norwegen erschienener Roman Weil am Tag meiner Geburt Venus ein Alpenveilchen passierte scheint für Høvring nun ein Türöffner für den internationalen Markt zu sein. Neben Dänemark haben bereits Frankreich und Schweden Lizenzen erstanden und weitere Länder zeigen bereits ihr Interesse.

Mona Høvring, Foto: Agnete Brun

Sexualität als Hauptthema

Auch wenn Was helfen könnte ihr Debüt als Romanautorin darstellt, so liegen ihre Schreibanfänge doch weiter zurück. Wie verschiedene andere Autoren schrieb sie zunächst Lyrik. Zwei Sammlungen von Gedichten entstanden vor ihrem Romandebüt. Im Laufe der Zeit sind zehn Werke – sechs Gedichtsammlungen und vier Romane – erschienen.

„Haben Ihre ersten Fingerübungen im Bereich der Lyrik Ihren Stil und Ihr Sprachbewusstsein in den nachfolgenden Werken beeinflusst?“

„Tja, vielleicht. Genres haben mich nie besonders interessiert. Ich schreibe das, was mir einfällt – in Form von Gedichten, Short Stories oder längere Prosaerzählungen. Ich kann sehr frei wählen und finde ein Genre nicht wertvoller als ein anderes. Prosa und Poesie sind in meinem Universum keine Ausdrucksformen, die miteinander konkurrieren.“

„Sexualität ist in Ihrem bisherigen Werk eines Ihrer Hauptthemen?"

„Ja. Eben weil das Körperliche und das Sinnliche so eng verknüpft sind mit dem Menschlichen und dem Intellektuellen. In meinem Universum sind das keine voneinander zu trennenden Größen. Alle müssen wir dazu Stellung nehmen, dass wir sexuelle Wesen sind – egal, ob wir das Zölibat wählen, Promiskuität, etwas dazwischen oder so genannte Perversionen. Ich für meinen Teil finde, dass die Gier nach Geld oder Macht viel gefährlicher ist als sexuelles Begehren. Einvernehmlichen Sex als eine Art Hauptbedrohung für die Menschen in unserer Zeit zu sehen, ist oft ein Ablenkungsmanöver, wenn es doch um reelle Bedrohungen wie Krieg, Hungerkatastrophen, die Vernichtung der Umwelt, Gier und Verschwendung geht. Lassen Sie mich aus einem Essay Montaignes – „Über einige Verse des Vergil“ – aus dem Jahre 1588 zitieren: ‚Doch lassen Sie uns zur Sache kommen.Was hat wohl der Geschlechtsakt, der so natürlich, notwendig und richtig ist, mit den Menschen gemacht, auf dass sie sich nicht getrauen, ohne Scham über ihn zu reden und ihn in ernsten und anständigen Gesprächen aussparen? Unbefangen sprechen wir solche Worte wie ‚töten‘, ‚stehlen‘ und ‚verraten‘ aus, doch dieses Wort wagen wir kaum unserem Mund entfahren zu lassen. Bedeutet das, je weniger man ihm in Worten Luft macht, desto mehr kann man ihn in Gedanken anschwellen lassen?‘“

Mona Høvring: Was helfen könnte, Edition fünf.

Identitäten und Konstruktionen

In ihren Büchern kehrt Mona Høvring immer wieder zu ihrem Interesse für das Ausloten von unterschiedlichen sexuellen Identitäten und unterschiedlichen Konstruktionen derselben zurück. Das gilt auch für Was helfen könnte:

„Laura, die Hauptfigur, hat’s nicht besonders leicht. Die Mutter hat sich umgebracht, der Vater interessiert sich nicht besonders für seine Kinder, der große Bruder ist o.k., aber der ist schon halb aus dem Haus und fast schon erwachsen. Und Laura muss so gut es geht versuchen, ohne Hilfe der Familie klarzukommen. Während sie älter wird, sucht Laura sehr tapfer und optimistisch nach etwas, das ihr beim Durchhalten – in dieser Welt und in der scheinbaren Sinnlosigkeit - hilft. Fast schon trotzig sucht sie sich Freunde, sie besteht darauf, in Bewegung zu bleiben, sie fährt mit dem Rad ans Meer, lernt Pflanzen zu pflegen, geht ins Kino, trinkt Wein, hockt im Park und erfindet Geschichten. Sie sammelt erste sexuelle Erfahrungen. Sie erlebt Spannung, Frust, Genuss – die sexuellen Erfahrungen werden also zu etwas, das ihr in ihrem Dasein ‚hilft‘“, sagt Høvring.

„In meinen Büchern schreibe ich nicht über das Normale als etwas Unnormales. Ich will den Leser thematisch gesehen nicht zu stark lenken. Ich möchte auch z.B. die sogenannte ‚sexuelle Ausrichtung‘ meiner Figuren nicht dramatisieren. Ich möchte über Sexualität als eine positive Kraft schreiben und mithilfe von sinnlichen, fast schon harmonischen Tableaus positiv besetzte Möglichkeiten aufzeigen. Ich möchte, dass die Sexualität der Figuren in meinen Büchern eine Art Freiraum darstellt. Ich will, dass sich die Figuren in diesem Bereich gesund bewegen können, dass sie möglichst wenig beschädigt und gehandicapt werden. Und ich versuche, für sie eine Art sexuellen Seelenfrieden zu erschreiben. Ich will, dass die Figuren, über die ich schreibe, die Möglichkeit bekommen, sich der Lust zu bedienen, sich in ihr und in ihrem Begehren mit Wollust zu bewegen - ohne Zwang, ohne Abscheu, ohne Bestrafung, ohne Vorgaben oder Verbote. Ja, ich entwerfe den sexuellen Raum oft als einen klaren Freiraum, in dem das Ausleben der Sexualität den Figuren eine lebenswichtige Stütze sein kann, wenn es um das geht, was sie vermissen oder was ihnen ansonsten im Leben fehlt. Hier meine ich fast schon so etwas wie ‚sexualhealing‘ à la Marvin Gay“, sagt Høvring.

Mona Høvring, Foto: Agnete Brun

Wahnsinn und Vernunft

Dass sich Lauras Mutter umgebracht hat, prägt die Familie grundlegend. Lauras ständige Zerrissenheit zwischen der Todessehnsucht – wo Mutter ist, will auch ich sein – und der Lust am Leben, dem Lebenswillen – etwas zu finden, was ‚helfen‘ kann – kann man aus allem herauslesen, was sie erzählt und mitteilt.

„Lauras wilde Schüchternheit, ihr Misstrauen gegenüber der Sprache, gegenüber der Welt und den Menschen in ihr, ist groß, denn sie schämt sich fast zu Tode über ihre eigene Empfindlichkeit, ihr hoffnungsloses Chaos, ihren eigenen Schmerz. Sie denkt ständig darüber nach, ob sie nicht aufhören sollte zu sprechen. Und die Tatsache, dass Laura sich um anderer Menschen willen mit ihrer Angst konfrontiert und sich auf riskante, sexuelle Abenteuer einlässt, halte ich für heldenhaft, vital und lebensbejaend, ja überlebenswichtig“, sagt Mona Høvring.

Høvrings Romanfiguren bewegen sich oft in einer kontrastreichen Landschaft:

„In allen meinen Büchern schreibe ich über Zusammenbrüche und seelische Erkrankungen, meine Erzähler sind oft zerbrechlich, verletzlich, mutlos und verwirrt. Sie machen einen heftigen Spagat zwischen Wahnsinn und Vernunft. Kann ich leben? Muss ich sterben? Doch ich schreibe auch über ihren Mut, ihre Auftriebskraft, ihre Verrücktheit, ihren Humor, ihre Wildheit und ihre Stärke. Sie haben ein riesiges Auffassungsvermögen, ein ziemlich gutes Entwicklungspotenzial, große Kraft. Vielleicht könnte man sie als (Anti-)Heldinnen bezeichnen?“

Aus dem Norwegischen von Sabine Richter.

Weitere Informationen zum Buch

finden Sie auf der Webseite von edition fünf.

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