Das Politische ist zurück in der Lyrik: Cecilie Løveid, Knut Ødegård und Nils-Øivind Haagensen

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Written by Vidar Kvalshaug, BOK365

Zu wenig norwegisch, zu wenig nordisch? Enthüllend? Empfindlich und eingebildet? Wir haben mit drei prominenten norwegischen Lyrikern über Themen und Tendenzen gesprochen – und über ihre eigenen Gedichte.

Knut Ødegård (Foto: Anna Julia Granberg), Cecilie Løveid (Foto: Helge Skodvin) und Nils-Øivind Haagensen (Foto: Heidi Furre)

Knut Ødegård (74) ist in 42 Sprachen übersetzt, aber eine deutsche Ausgabe hat bisher noch gefehlt. Die Zeit ist gekommen wurde jetzt in Deutschland herausgegeben (Übersetzung: Åse Birkenheier).

„Deutschland bekommt den reifen Dichter, nichts von dem jungen Poeten von 1967. Seitdem hat es in meinem Leben so einige Erdrutsche gegeben und die Erkenntnis, dass der Kontakt mit einer größeren Wirklichkeit als der materialistischen notwendig ist, gegeben. Und die Offenheit, mich selbst auszuliefern, die Familie und Tabus. Ich bin als alternder Poet ein rücksichtsloserer Dichter geworden“, sagt Knut Ødegård.

Ist Die Zeit ist gekommen repräsentativ für heutige norwegische Lyrik?

„Es heißt ja, ich sei zu wenig norwegisch und zu wenig nordisch, aus dem einen oder anderen Grund. Obwohl ich in meinen Gedichten der norwegischen Geographie, der westnorwegischen Küstenlandschaft, den Dörfern, Fjorden, Gebirgen doch so nahe bin – dem Leben der Kleinbauern. Ich verstehe mich gut mit den Jüngsten, eine scharfe Generationsgrenze gibt es also nicht.“

Knut Ødegård. Foto: Anna Julia Granberg

Knut Ødegård rezensiert in der christlichen Tageszeitung „Vårt Land“ auch Lyrik und sieht einige charakteristische Züge in ihr:

„Gute Spracharbeit, viele schöne Bilder in der Dichtung, eine gestraffte Sprache, aber es gibt eine gewisse Scheu davor, die großen Geschichten zu erzählen. Die Gesellschaft taucht bei den jungen Poeten gar nicht auf, nur ein wenig Technik, Autos, Flugzeuge, Computer und Handys. Ich finde viele Gedichte über den einsamen Poeten.“

Aber ist das Politische nicht trotzdem wieder aktuell in den Gedichten?

„Ich hoffe es. Eines der Gedichte in meinem Buch ist der jetzigen Justizministerin Sylvi Listhaug gewidmet, es handelt von einer Flüchtlingsfamilie auf dem Weg nach Europa.“

Lyrik – oder etwas, das ihr ähnelt?

Cecilie Løveid (geb. 1951) schrieb zunächst Stücke fürs Theater und hat inzwischen viele Prosawerke, Kinderbücher und Gedichtsammlungen veröffentlicht. In Frankfurt ist sie mehrfach repräsentiert, einmal in der Zeitschrift Die Horen, in der Anthologie, die die Stadt Bergen mit Autorinnen und Autoren aus ihrer Stadt zusammengestellt hat und in der New Norwegian poetry, ein Buch, das vom Kolon Forlag zusammengestellt wurde. Außerdem hat Siri Hustvedt die Baader-Meinhof-Suite übersetzt, sie stammt aus Cecilie Løveids letztem Buch, Vandreutstillinger (Wanderausstellungen, 2017), für das sie den norwegischen Bragepreis bekommen hat.

Cecilie Løveid. Foto: Helge Skodvin

„Ich bin keine wirkliche Kennerin des Großen und Ganzen. Die meisten schreiben wohl über Gefühle und so, oder? Die Frage dabei ist doch, ob es Lyrik ist oder etwas, das Lyrik nur ähnelt und sich als solche ausgibt. Man braucht einen ganz speziellen Zugang, es reicht nicht, einfühlsam zu sein. Man muss einen Blick haben für die Wirkung, einen geheimen Sinn. Wir reden über das älteste Gewerbe der Welt, abgesehen von einem anderen. Die Gesellschaft hat schon immer Poeten gebraucht. Lyrik existiert auf vielen verschiedenen Niveaus, und für alle diese Niveaus kann Bedarf bestehen.“

Gibt es heutzutage viel, was nur von sich behauptet, Lyrik zu sein?

„Soweit ich verstehe, lassen sich viele Schriftsteller heute intensiv an Autorenschulen ausbilden. Ich beobachte, dass sie eng miteinander verbunden sind, ja, sie lieben einander. Zu meiner Zeit war ein Dichter ein verschrobener einsamer Mann oder ein empfindsamer Lehrer im Westen Oslos. Doch dann kamen die Jungen, die Frechen und brachten einen neuen Ton herein. Es hat mich verblüfft, in den Neunzigern immer wieder auf „Die neue Empfindsamkeit“ zu treffen. Heute wird oft die Frage nach Themen und Feldern gestellt, die lange Zeit keinen Platz in der Poesie gefunden haben, Mutterschaft und so etwas.“

Was ist mit dem Politischen, Sie selbst haben ein berühmtes Gedicht über den Massenmörder Anders Behring Breivik geschrieben?

„Es gab viele Gedichte, und viele waren vorhersehbar, aber ich beschloss, erst etwas zu schreiben, wenn ich den richtigen Dreh gefunden hatte. Ich selbst habe eigentlich nicht das Gefühl, dass ich zu einem bestimmten Feld gehöre, oder dass ich mich an jemandem orientiere. Ich bin sicher auch verschroben und eingebildet“, sagt Cecilie Løveid.

„Verdrehter“ Blick, gesellschaftliche Klasse und Angst

Nils-Øivind Haagensen (geb. 1971) war für den Literaturpreis des Nordischen Rats nominiert und hat eine große Anzahl an Gedichtsammlungen geschrieben, einige Romane sowie mehrere politische Gedichte, die bei Facebook publiziert wurden. Haagensen ist Verleger im Flamme Forlag, einer der Führenden in der jungen Poesie in Norwegen.

Nils-Øivind Haagensen. Foto: Heidi Furre

„Eine neue Autorenschaft beginnt oft in der Lyrik, und ob diese politisch ist oder nicht, das ist eigentlich eine langweilige Diskussion. Die Leute aus dem linken Lager meinen, alles sei politisch, aber es wird nur wenig Lyrik mit Themen der Politik der 1970er Jahre herausgegeben, also die linke gegen die rechte Seite. „Verdrehte“ Poeten, wie beispielsweise Linda Klakken und Atle Håland, sind einige, die wir heutzutage sehen können.“

„Angst und psychische Gesundheit ist ein anderes Feld, es gab Lyrik über Klassenfragen und Klassenbewusstsein und immer noch wird einiges an Naturlyrik geschrieben. Erlend Skjetne ist so ein Dichter, und sein Werk gefällt mir gut. Olav H. Hauge hat uns ja auch gezeigt, dass die Natur politisch wirken kann“, sagt Nils-Øivind Haagensen.

Dieser Olav H. Hauge (1908-1994) ist auch der Verfasser des Gedichts Den draumen vi ber på (Der Traumin uns), Norwegens Motto als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse.

Aus dem Norwegischen von Christel Hildebrandt.

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